Wie komme ich am schnellsten zur hippen Galerie, von der alle reden? Woher haben alle diese tollen Tote Bags her? Was muss ich tun, um an die Party gelassen zu werden? Und wofür stelle ich mich hier gerade überhaupt an?
Wer so wie ich zum ersten Mal für mehrere Tage am Stück an der Milan Design Week ist, fühlt sich schnell einmal überfordert. Mir ging es letzte Woche nicht anders. So musste auch ich bald einmal einsehen, dass ich unmöglich all die instagrammable Installationen, Pop-up-Bars und Hinterhof-Ausstellungen besuchen kann, die ich mir vorgenommen habe. So ist weniger manchmal doch mehr und die Verschnaufpause mit dem Gelato in der Hand wertvoller als noch mehr visueller Input.
Nach vier intensiven Tagen voller Design und Kunst habe ich eine Weile benötigt, um all die Eindrücke zu verarbeiten und meinen Kopf und Körper wieder ruhig zu stellen. Mit etwas Distanz lasse ich hier nun ein paar meiner persönlichen Highlights Revue passieren.
First Things First: Die Neuheiten
Gleich unser erster Stopp an der Messe galt einem grossen Produkt-Launch: In aller Ruhe durften wir uns am neuen Sofa «Collina» von de Sede erfreuen, das in Zusammenarbeit mit atelier oï entstanden ist. Inmitten von dem vielen eleganten Beige, das am Salone zu sehen war, bot auch der kunterbunte Messeauftritt von Kartell unter dem Motto «Urban Horizons» mit den neuen limitierten Farben der «Teresa»-Tischleuchte und der Kollaboration mit dem englischen Traditionshaus Liberty eine wohltuende Abwechslung.
Um Produkt-Neuheiten zu entdecken, muss man mittlerweile nicht mehr unbedingt die lange U-Bahn-Reise zum Salone auf sich nehmen. So haben wir zum Beispiel Paola Navones neuste Leuchte «Oblò» direkt im rot ausgekleideten Showroom von Lodes begutachten können und Alessi hat News wie den Wasserkocher «Toru» von Studio Nendo gleich in die Installation «Myth Makes Belief» im Palazzo Borromeo eingebaut.
Nach all den überdimensonalen und perfekt inszenierten Ständen der grossen Designbrands war der Streifzug durch den Salone Satellite eine wohltuende Abwechslung. Dort haben von einer Fachjury ausgewählte Designtalente unter 35 ihre Prototypen und Kleinserien ausgestellt, was mich gleich in meine Studienzeit an der Kunsthochschule zurückversetzt hat.
Im Zickzack durch den Fuorisalone
Schon wer sich dem House of Switzerland in der Casa degli Artisti im Designviertel Brera zu Fuss genähert hat, wurde dank farbigen Flaggen sowie einer überdimensionalen Kugelbahn an der Fassade vom Motto «JOY» der Gruppenausstellung angesteckt. Auch im Innern wurde mit bunten Schaukeln, Seilen und Bänken die Freude zelebriert und auch meine Verlags-Kolleginnen und ich mussten uns zusammenreissen, damit das Kind nicht komplett mit uns durchging.
Hier ist übrigens unsere Geschichte zum House of Switzerland und Estelle Bourdet.
In Brera kann man während der Design Week bequem einen Tag verbringen und sich spontan von Showroom zu Hinterhof zu Pop-up-Shop zu Galerie treiben lassen. So bin ich in der Lagerhalle einer alten Schreinerei ganz unverhofft auf die Schau «Blond Laboratory» gestossen, bei der sieben namhafte Industriedesigner:innen ihre eigene Antwort auf einen scheinbar banalen Alltagsgegenstand ausgestellt haben.
Die ständige Aktivität auf Instagram während des Salone ist ganz schön anstrengend, kann aber auch ihre Vorteile haben. So habe ich das Muster der Installation «Skin» von Naoki Kawano für Pierre Frey, das mir in einigen Insta-Storys aufgefallen war, unterwegs wiedererkannt und zum Glück Zeit für einen kurzen Besuch gefunden.
Ohne das akribische Markieren von Orten und Adressen auf Google Maps wäre ich im Mailänder Design-Dschungel nicht nur verloren gegangen, auch die Ausstellung «Capsule Plaza» im Spazio Maiocchi wäre mir so wohl entgangen. In den hohen, lichtdurchfluteten Galerieräumen haben mich die Innovationen von Hydro, die skulpturalen Möbel von BD Barcelona x Muller Van Severen, die Lounge von Nike x Alaska Alaska oder das Projekt Futura Akari voll in ihren Bann gezogen.
Über die Innenstadt hinaus
Von allen Seiten wurde uns die Präsentation von Alcova in der verlassenen Villa Bagatti Valsecchi ans Herz gelegt. Unser Ausflug mit der S-Bahn in den kleinen Ort Varedo hat sich gemäss meiner Kollegin Katrin Montiegel angefühlt, wie durch ein Loch ins Wunderland herabzuklettern. Von den bunten Bad-Oberflächen in der Nachmittagssonne, der surrealistischen Minigolfanlage, mit Sand gefüllten Räumen und überdimensionalen Leuchtern träumen wir noch heute, lange nachdem wir wieder hochgekraxelt sind.
Dass ich mir am letzten Tag noch die Zeit für einen kurzen Abstecher in den Süden Mailands in die Via Tortona genommen habe, hat sich als Glücksfall entpuppt. Die etwas rauere, industriell geprägte Gegend war genau nach meinem Geschmack und hat mich nach dem Glamour Breras und der Innenstadt wunderbar geerdet.
Neben der Stippvisite im Kulturzentrum BASE habe ich mir auch den Besuch bei Superstudios Superdesign Show nicht entgehen lassen. Erst etwas überfordert von dem riesigen Gelände, habe ich mich dann von der Installation «Cosmos» vom tschechischen Festival Designblok in andere Sphären katapultieren und von der Ausstellung «Speak Softly Thai, Speak Softly Love» begeistern lassen. Besser hätte mein Abschied von Mailand nicht sein können.
Für alle, die jetzt schon vorfreudig die Planung für 2025 in Angriff nehmen: Der nächste Salone del Mobile findet vom 8.-13. April 2025 statt.