Pünktlich zum Herbstbeginn überschäumt London geradezu vor Kreativität. Es wirkt, als ob sich die vom Brexit bedrohte Kapitale zum Trotz noch mehr zum Magneten der internationalen Kreativindustrie machen wollte. Das Design-Festival legt sich wie ein Fieber über die ganze Stadt und infiziert vom Westen im eleganten Brompton über das revitalisierte Kings Cross Quartier bis zum gentrifizierten Shoreditch im Osten scheinbar jede Ecke mit Design in Form von Design-Trails, Pop-up-Stores, Produktlancierungen und Verkaufsausstellungen. Erster Befund: Rezyklierbares Plastik wird dieses Jahr definitiv salonfähig gemacht, digitale Technologien finden noch stärker Eingang in den Designprozess. In Kings Cross lud etwa Platzhirsch Tom Dixon in sein neues Hauptquartier. Er zeigte mit «Electroanalogue» die Möglichkeiten digitaler Technologien, etwa mit Lederkunsthandwerkstudio Bill Amberg. Und in unmittelbarer Nachbarschaft weckten in der Schau «Plasticscene» internationale Designer wie Dirk Vander Kooji Plastikabfall zu neuem Leben.
Bei dem uferlosen Angebot strebte man gern zu den beiden Epizentren des Festivals. Glanzlicht war das ineinander verschachtelte 3D-Labyrinth aus amerikanischem Tulpenholz von «MultiPly» von Waugh Thistleton Architects im V&A Museum. Das raffinierte Bauwerk ist nicht nur Augenweide, sondern auch Fingerzeig auf die Wohnungsnot und die Notwendigkeit nachhaltiger Bauweise. Als inspiriertes, auf soziale Fragestellungen ausgerichtetes Laboratorium entpuppte sich die zum zweiten Mal stattfindende internationale Design Biennale in Somerset House. Unter dem Thema «Emotional States» präsentierten 40 Länder Antworten auf soziale und emotionale Bedürfnisse. Rückbesinnung auf traditionelles Kunsthandwerk, Neuinterpretation der verpönten Kohle, in nützliche Objekte umgewandelter Abfall, Antworten auf den Klimawandel allerorten, aber auch Design als Treiber für Wirtschaft und für den Ausdruck gesellschaftlicher Offenheit. Nimmt man die erhöhte Aufmerksamkeit der Politiker für die emotionale Befindlichkeit der Menschen als Gradmesser, müsste Design im Alltag künftig noch mehr seine ganze sozial und emotional transformative Kraft entfalten.