Gau mit einem rötlichen Schimmer erhebt sich das Herrenhaus aus dem Ensemble mächtiger Baumkronen. Der Himmel darüber strahlt blau, gespickt mit einigen Schönwetterwolken. Die Schlossanlage von Kasteel Wijlre Estate, zwanzig Kilometer östlich von Maastricht, steht auf einer kleinen Insel, umgeben von einem breiten Wassergraben. Auf seiner Oberfläche finden sich nun Doppelgänger vom Himmelblau, den Schäfchenwolken und den Silhouetten vieler Gehölze.
Das Schloss stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, zu einer Zeit also, in der Trutzburgen mit Mauern und tiefen Gräben gegen die fortgeschrittene Waffentechnik obsolet geworden waren. Wassergräben hatten daher ähnlich wie die grossen Wasserbecken in den barocken Parks mehr einen ästhetischen Nutzen. Sie dienten den erhabenen Spiegelungen kosmischer Kräfte, die man damals ebenfalls zu bändigen versuchte. Berühmtes Beispiel ist die Parkschöpfung von Versailles, mit der Sonnenkönig Ludwig XIV. die Naturkräfte bezwang. In den Niederlanden ging es darum, die Landschaft weiträumig zu entwässern, da sie zu grossen Teilen unter dem Meeresspiegel liegt. Der geometrische Verlauf der Entwässerungsgräben hinterliess ein ruhiges, geordnetes Landschaftsbild. Das leicht verfügbare Wasser wurde in den Gärten zum sichtbaren Gestaltungsmittel.
Weitete dieses Element nicht zugleich das Lebensgefühl und brachte Licht und abwechslungsreiche Unterhaltung in die Gärten? Zu einer Zeit höchster Eitelkeiten fügte es dem Spiel der Sinnesreize Facetten der Bespiegelung hinzu. Mehr als hundert Jahre später wich der barocke Ästhetizismus einer Natursehnsucht, die sich in weitläufigen, wild anmutenden Parks nach englischem Vorbild äusserte. Auch in Kasteel Wijlre wurden die Teppichbeete nun durch einen Landschaftsgarten ersetzt, dessen imposante Baumgestalten noch heute davon Zeugnis ablegen. Im Jahr 1981 übernahm das Ehepaar Jo und Marlies Eyck das Anwesen. Sie liessen das leicht baufällige Herrenhaus renovieren und begannen, dem Park ein neues Gesicht zu geben. Ihre Zielvorstellung war ein Schlossgarten mit allem Drum und Dran. Es sollte Waldpartien geben, Rasen, Blumenrabatten sowie Obst und Gemüse. Schönheit und Nutzen wünschten sie sich als eine Einheit. Schloss und Garten sollten dabei korrespondieren: Harmonische Proportionen sowie ein Gleichgewicht horizontaler und vertikaler Linien, die die Architektur der Gebäude bestimmten, sollten sich auch in der Gestalt der Aussenanlagen wiederfinden.
So wurden den landschaftlichen Partien formale Teile hinzugefügt. Sie erinnern an Heckengärten des Barock, die sogenannten Bosketts mit ihren jeweils thematischen Schwerpunkten. In den geometrischen Räumen, begrenzt von Wänden aus beschnittener Eibe, wird das Augenmerk etwa auf bestimmte Farben gelenkt. Phlox, Taglilien, Sterndolden und Rosen formen beispielsweise ein purpurblaues Kabinett. Ähnliche Stauden in hellen Gelb- und Cremetönen bilden in Gemeinschaft mit Gräsern an anderer Stelle eine lichte Pflanzung. Hinzu kommen Kabinette mit Kräutern, mit diversen Gemüsearten sowie mit Obst. Die umfangreiche Kunstsammlung der Eycks eröffnen den Gartenbesucher*innen noch weitere Erlebnisse. So tauchen sie in ein begehbares Gesamtkunstwerk voller Überraschungen ein.
Brigitte Bloksma – sie leitet die inzwischen gegründete Kasteel Wijlre Estate Foundation – weckt dafür auf dem Weg durch den Park die Aufmerksamkeit. Plötzlich fragt sie: «Haben Sie schon den Penone entdeckt?» Gemeint ist ein aus Bronze gestalteter Stamm des italienischen Bildhauers Giuseppe Penone, der sich täuschend echt neben anderen Baumstämmen aus dem Unterholz erhebt. Ganz in der Nähe leiten niedrige Hecken die Besuchenden auf verwunschene Pfade. Sie bilden den verzweigten Ast eines umgestürzten Baums nach und stellen eine begehbare Skulptur des gleichen Künstlers dar. An einer Längsseite des Grabens stossen die Besucher*innen auf eine übermannsgrosse massive Kreisform, die wie ein Brennglas ein Stück Parklandschaft ausschneidet. Am Boden jedoch ist sie nicht geschlossen. «Broken Circle» heisst die Skulptur des niederländischen Minimalisten Ad Dekkers. Ihre Form doppelt sich auf der Wasseroberfläche und auf der gegenüberliegenden Grabenseite in einer entsprechend geformten Buchenhecke.
Hecken bilden die Architektur des Gartens. Ihre Linien korrespondieren mit denen der Gebäudearchitektur, so etwa mit der des «Hedge House», eines puristischen Pavillons aus Beton und Glas. Die Eycks hatten sich ein weiteres Ausstellungsgebäude gewünscht. Errichtet werden konnte dies nur an der Stelle des Hühnerstalls. Da der Denkmalsschutz vorsah, die ehemalige Nutzung beizubehalten, entwarf der Amsterdamer Stararchitekt Wiel Arets ein vielseitiges Haus, in dem die Hühner auf ihren Eiern und die Besuchenden in einem unter die Erde verlegten Raum über die ausgestellte Kunst brüten können. Kurzerhand wurde auch ein kleines Gewächshaus für die Orchideensammlung der Hausherrin integriert.
Über allem wacht Brigitte Bloksma. Sie konzipiert die jährlichen Ausstellungen, sorgt für die öffentliche Aufmerksamkeit und organisiert Führungen durch den Park – alles in enger Absprache mit dem Ehepaar Eyck. Auf Vorbestellung können Besucher*innen sogar Picknickkörbe und Sitzkissen buchen. Damit darf man es sich überall im Park bequem machen. «Wir wollen, dass die Menschen die Verbindung von Kunst und Natur unmittelbar erleben», so die erfahrene Kulturmanagerin. Dafür braucht es Zeit und Musse, sonst wird man den vielen Korrespondenzen nicht auf die Schliche kommen.