«Ich kann ja nur machen, was ich denke»

Schauspielhaus Zürich – Bühnenbild

Die Bühnenbildnerin Bettina Meyer ist seit 2009 Ausstattungsleiterin am Zürcher Schauspielhaus.

Eigentlich gehört meine Leidenschaft dem Theater. Das Licht, die Energie der Schauspieler, die gespannte Atmosphäre im Zuschauerraum – jedes Mal wird mir bewusst, dass es ein Privileg ist, diese Ballung von Dynamik und Leidenschaft miterleben zu dürfen. Besonders gespannt bin ich jeweils auf Kostüm- und Bühnenbild, welche die Illusion von Raum und Zeit für zwei Stunden mittragen. Während Design und Architektur stets ästhetischen und funktionalen Regeln verbunden bleiben, funktioniert die Gestaltung eines Bühnenraums nach anderen Kriterien. Die Bühnenbildnerin Bettina Meyer arbeitet seit über 25 Jahren an renommierten Theaterhäusern im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch über die Unterschiede zwischen Architektur und Bühnenbild, Theaterfamilien und ihr aktuelles Stück.

Frau Meyer, Sie sind seit neun Jahren als Ausstattungsleiterin am Schauspielhaus Zürich engagiert. Wie hat sich Ihr Arbeiten seither verändert?
Bettina Meyer: Ich muss weniger reisen. Als freie Bühnenbildnerin ist man viel unterwegs, fast jede Woche im Zug oder Flugzeug. Es ist grossartig, mit dem Fahrrad zur Probe fahren zu können. Das Schauspielhaus ist ein vertrauter Ort für mich, ich kenne die Werkstätten und die Technik sehr gut. Diese Kontinuität bringt viele Vorteile mit sich. Was die Arbeitskonstellationen betrifft, hat sich nicht viel geändert. Mit Barbara Frey, Regisseurin und Intendantin am Schauspielhaus, arbeite ich seit über zwanzig Jahren zusammen. Allerdings mache ich auch Arbeiten mit anderen Teams ausserhalb Zürichs oder der Schweiz, also doch Zug und Flugzeug – aber seltener.

Wie gehen Sie ein neues Stück jeweils an?
BM: Erst lese ich den Text, schaue, wo die Aufführung stattfinden wird. Dann folgen Gespräche mit dem Team. Das Wesen der Kreativität lässt sich schwer erklären: Bei mir setzt eine Art selektive Wahrnehmung ein. Ich beginne meine Umwelt, Bücher, Bilder, Filme – einfach alles um mich herum – unbewusst auf das Projekt hin wahrzunehmen. So bildet sich eine Art Fundus, aus dem ich Idee und Konzept entwickle. Ich versuche, die Atmosphäre des Stückes für mich herauszufinden. Und wichtig, was ich beim Zuschauer auslösen will.

Welche Rolle spielt das persönliche Stilempfinden beim Entwurf eines Bühnenbildes, wenn etwa ein Unort gestaltet werden soll?
BM: Es gibt wohl kaum einen Beruf, der so viele Disziplinen in sich vereint wie die Arbeit mit Bühnenbildern: Kunst, Architektur und Philosophie, Germanistik, Literatur, etc. Man sollte Bühnen- oder Kostümbild nicht mit Innenarchitektur, Architektur oder Mode verwechseln. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Berufen, etwa in Bezug auf die Materialkenntnisse. Doch die Aufgabenstellung ist eine andere.

Inwiefern?
BM: Ich entwerfe ja bewusst manchmal geschmacklose Räume. Aber nicht, weil ich sie schön finde und einen schlechten Geschmack habe, sondern weil sie für ein bestimmtes Inszenierung richtig sind. Ein Bühnenbild soll nicht hübsch sein. Es soll etwas im Betrachter auslösen. Schönheit kann das genauso wie etwa Kälte oder Enge. Gewisse ästhetische Vorstellungen fliessen immer mit ein, das ist wohl untrennbar. Ich kann ja nur machen, was ich denke.

Spielort und Bühnenbild scheinen zu verschmelzen: «Zur schönen Aussicht» in der Schiffbau-Halle.

Ödön von Horváths Gesellschaftssatire «Zur schönen Aussicht» wurde von der Schauspielhaus-Intendantin Barbara Frey inszeniert.

Im morbiden Hotel trifft sich eine dem Untergang geweihte Gesellschaft. Alles ist vergilbt, verstaubt, verwahrlost.

Die richtige Atmosphäre stellt sich oft erst kurz vor der Premiere mit  Einsatz des Lichtes ein.

Woher zogen Sie die Inspiration für das Bühnenbild «Zur schönen Aussicht», das zurzeit im Schiffbau gespielt wird?
BM: Das Stück spielt in einem Hotel, und aus dramaturgischen Gründen hielt ich es für sinnvoll, es tatsächlich in einem Hotel spielen zu lassen. Inspiriert haben mich etwa der Film «Grand Budapest Hotel» von Wes Anderson und ein Foto aus einem Bildband, auf dem ein Schlachtengemälde die Wand über einem verfallenen Speisesaal ziert. Der Schriftsteller Ödön von Horváth schrieb das Stück zwischen den zwei Weltkriegen, doch es könnte irgendwann zwischen zwei Kriegen spielen. Den Menschen geht es schlecht, sie würden viel dafür geben, dass sich etwas ändert – auch wenn das wieder ein Krieg sein sollte.

Wie beeinflusste der Bühnenraum Ihren Entwurf?
BM: Das grosse Fenster gehört zur Schiffbauhalle. Wie die patinierten Betonwände der Halle ist es gleichermassen Teil des Spielortes, als auch Teil des Bühnenbildes. Was hineingebaut ist, kann das Publikum nicht erkennen. Das Hotel verwächst mit der Halle und den Zuschauern. Der Eingang des Hotels befindet sich wie bei einer Arena unter den Publikumsrängen.

Wie wird man eigentlich für ein Stück engagiert?
BM: Meist ist es die Regisseurin, die auf einen zukommt. Mittlerweile kennt man meine Arbeit, beim persönlichen Kennenlernen geht es einfach darum, ob die Chemie stimmt. Man trinkt zusammen einen Kaffee und schaut, ob man sich in die Gedankengänge des anderen einklinken kann. Wie es letztlich funktioniert, merkt man erst bei der Arbeit, wenn der Druck höher und höher wird. Selten ist es auch die Intendanz oder die Dramaturgie, die Regie und Bühne zusammenbringen. Oder man wird von jemandem empfohlen. Auf diese Weise entstehen «Theaterfamilien», vieles läuft über Beziehungen. Und ein Quäntchen Glück ist natürlich auch dabei.

Inwiefern braucht es Glück, um als Bühnenbildnerin voranzukommen?
BM: ...um einen guten Partner oder Partnerin zu finden, mit dem man zusammenarbeiten kann. Die Beziehung zwischen RegisseurIn und BühnenbildnerIn lässt sich durchaus mit einer Ehe vergleichen, man verbringt extrem viel Zeit miteinander. Gleichzeitig sind da Hierarchien, die Arbeit ist sehr intensiv. Man muss sich gegenseitig vertrauen. Wenn es passt, ist dies ein grosses Glück.

«Zur schönen Aussicht» wird noch bis zum 29. April im Schiffbau in Zürich gespielt.

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