Die Sentenz «Harte Schale, weicher Kern» darf hier wörtlich genommen werden: Harter Beton trifft im Innern der Betonschalen-Skulptur «KnitCandela» auf Strick. Mit seinem farbenfrohen Streifenmuster ist es schön anzusehen und bildet einen reizvollen Kontrast zum Sichtbeton. Doch es erfüllt weit mehr als bloss einen dekorativen Zweck: Das aus 350 Kilometer Polyestergarn gestrickte Textil dient als Schalung für die vier Meter hohe und fünf Tonnen schwere geschwungene Betonkonstruktion.
«KnitCrete» heisst die neuartige Methode, dank der komplexe, mehrfach geschwungene Betonkonstruktionen deutlich material-, arbeit-, zeit- und kostensparender realisiert werden können als mit einer konventionellen Schalung. Da die textile Schalung sehr leicht ist, werden auch der Transport und der Aufbau vor Ort vereinfacht. Stricken hat mehrere Vorteile, beispielsweise können dreidimensionale Formen in einem Arbeitsgang gestrickt und Kanäle und Öffnungen für zusätzliche Schalungselemente, Dämmung, Bewehrung, Elektroinstallationen oder anderes direkt integriert werden. Das Strickmuster wird digital generiert, ähnlich wie beim 3D-Drucken. Die textile Schalung wird dann allerdings mit einer herkömmlichen Industrie-Strickmaschine produziert.
Entwickelt wurde «KnitCrete» an der ETH Zürich im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation von Forschern der Block Research Group (BRG) und der Professur für Physikalische Chemie von Baumaterialien. Bei «KnitCandela» wurde die Technologie erstmals im grossen Massstab eingesetzt. Die begehbare Skulptur ist eine Hommage an den für seine Betonschalenbauten bekannten Architekten Félix Candela. Sie wurde von der Block Research Group gemeinsam mit der Zaha Hadid Architects Computation and Design Group (ZHCODE) und Architecture Extrapolated (R-Ex) anlässlich der Ausstellung von Zaha Hadid Architects im Museo Universitario Arte Conteporaneo (MUAC) in Mexiko-Stadt realisiert.
Für die 50 Quadratmeter-Schalung von «KnitCandela» wurden vier Bahnen gestrickt. Das Gestrick besteht aus zwei Lagen: einer sichtbaren farbenfrohen und einer technischen, in die Kanäle für das stabilisierende Kabelnetz und Taschen für Luftballone integriert sind. Diese sorgen für Hohlräume im Beton und somit für eine materialsparende und gewichtreduzierende Waffelstruktur. Auf das mit gespannten Kabeln verstärkte Textil wurde eine dünne Schicht einer speziell entwickelten Zementmischung gespritzt und auf die ausgehärtete Form faserverstärkter Beton aufgebracht. Trotz der materialsparenden, dünnwandigen Konstruktion kommen immer noch fünf Tonnen Beton zusammen – in Form gebracht von einer gestrickten Schalung, die gerade einmal 55 Kilogramm wiegt und in zwei Reisetaschen von Zürich nach Mexiko gebracht wurde.