Bereits zum dritten Mal untersucht die Vienna Design Week gemeinsam mit der Wirtschaftsagentur Wien das wegweisende Thema Urban Food & Design. Im Zentrum stehen diesmal neue Perspektiven auf das Miteinander in der Stadt sowie die Frage nach den Potenzialen von Lokalem in einem Umfeld, das nach wie vor von globalen Marktrealitäten bestimmt ist: «The New Local» heisst jenes Schlagwort, zu dem Kreative in und rund um die Festivalzentrale im Amtshaus Theresienbadgasse anschaulich machen, wie sich Lebensmittelproduktion, Distribution und Konsum in einer Zeit während und nach COVID-19 auch lokal gestalten könnten. Dieses Jahr widmen sich die fünf ausgewählten Projekte Themenkreisen wie Sharing Economy, Kreislaufwirtschaft und gesellschaftlicher Teilhabe.
Die Vienna Design Week hat im Frühjahr 2020 gemeinsam mit der Wirtschaftsagentur Wien eine Challenge zum Thema Urban Food & Design ausgeschrieben. Die fünf besten der eingereichten Konzepte wurden von einer Fachjury ausgewählt und werden im Rahmen des Festivals allesamt in der Festivalzentrale im Amtshaus Theresienbadgasse präsentiert. Hier ein Vorgeschmack auf die Gewinnerprojekte 2020.
Der Weg, den eine Tomate vom Saatgut bis zum Teller zurücklegt, ist ein weiter. Gerade in industrialisierten und somit zumeist auf grösstmöglichen Profit ausgerichteten Lebensmittelsystemen bleiben diese Produktionsprozesse für Konsumentinnen und Konsumenten oft im Verborgenen. Und: Nicht erst seit der Pandemie findet das tatsächliche Essen selbst immer häufiger in kleiner Runde oder gar alleine statt. Mittels Open Design-Strategien spannen Jakob Glasner und Philipp Lammer nun einen Bogen vom Anfang (Saatgut) bis zum Ende (Teller) der Nahrungsmittelkette – und schaffen damit einen Gegenentwurf zur Isolation. Gemeinsam entwickeln Gemüsegärtnerinnen und Konsumenten geschmackvolle und robuste Tomatensorten und hinterfragen letztlich auch die klassische Rollenverteilung von Produzierenden und Verbraucherinnen. Um auch den Akt des Essens zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis werden zu lassen, entsteht für die Ausstellung ein Set von Suppentellern, das die Essenden (trotz ausreichend Abstand) über den Tellerrand hinaus miteinander verbindet.
Wenn Lebensmittel und Getränke auf unseren Tischen landen, haben sie meist lange Lieferwege hinter sich. Gerade im urbanen Kontext, wo wegen der fehlenden Agrarflächen zum aktuellen Zeitpunkt verhältnismässig wenig produziert wird, hängen Konsumentinnen und Konsumenten stark von komplexen Logistiksystem ab, die für ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich sind. Kurz gesagt: Die Herkunft und Herstellung von Lebensmitteln scheint besonders in grösseren Städten aus dem Sichtfeld geraten. Mit einem temporären Restaurant schafft die Initiative off plate im Rahmen der Vienna Design Week eine kulinarische Plattform, die die Beziehungsachse Mensch und Lebensmittel wieder verstärken soll: An drei Nachmittagen bereiten Köchinnen und Köche aus der Region Menüs in der Gemeinschaftsküche von off plate vor und teilen so ihre Interpretation eines nachhaltigen, saisonalen und gesunden Speiseplans mit ihren Gästen. Dazu gibt es frisch gezapfte Weine aus der Umgebung.
Wellnessbehandlungen mit Nebenprodukten aus dem Molkereibetrieb? Schon in der Antike keine Seltenheit! Als Hommage an Cleopatras Milchbäder schafft das Projekt «Kitchenbath» einen gemeinsamen häuslichen Ort für kulinarische und kosmetische Prozesse: Küche und Bad werden demnach eins, um Bakterien, die bei traditioneller Lebensmittelbereitung und im Zusammenhang mit Hygieneroutinen eingesetzt werden, zusammenwirken zu lassen. Protein, das bei der Käseproduktion entsteht, wird so etwa für Bäder genutzt, die dem körpereigenen Mikrobium aktivierende Milchsäurebakterien zuführen. Auf einer ideologischeren Ebene befasst sich das Projekt somit auch mit den zunehmend strenger werdenden Hygienerichtlinien in der Lebensmittelherstellung: Immer steriler, homogenisierter und delokalisierter heisst dort das Credo. Alles Käse, sagen jedoch jene, die über Jahrhunderte hinweg überliefertes Wissen über bakterielle Kulturen und Gewerke wie die Küferei am Leben erhalten wollen.
Die Initiative TeleAgriCulture richtet sich an Künstlerinnen, Designer, Landwirte und Bastlerinnen und versteht sich als offenes Communityprojekt. Neben Informationen und der Möglichkeit des Austausches zum Thema der nachhaltigen urbanen Lebensmittelproduktion bietet die crowd- und cloudbasierte Plattform zudem individualisierte Sensing Kits mit begleitenden Apps für zuhause an. Im Rahmen der Vienna Design Week zeigt das Projekt einen solchen aquaponischen Baukasten, der sich für die wissenschaftliche Datenerhebung genauso wie für spielerische und kreative Anwendungen eignet. Aquaponik bezeichnet ein Verfahren, das Techniken der Aufzucht von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen mittels Hydrokultur verbindet. In Hands-on-Workshops sind Festivalbesucherinnen und -besucher eingeladen, mehr über die Technik, das Setup und die kreativen Anwendungsmöglichkeiten der Kreislaufanlage zu erfahren.
Was, wenn wir Gärtnern mehr als Sport denn als Hobby, Passion oder gar lästige Pflicht verstünden? Das Projekt #GARDENFIT setzt genau hier an und propagiert eine Sportart, die einen Paradigmenwechseln zum Ziel hat. So drängt uns die aktuelle pandemische Krise vor allem in den Städten dazu, Infrastruktur, Lebens-, Freizeit- und Arbeitsmodelle neu zu denken. Sitzende Tätigkeiten, ungesunde Diäten, kurzsichtige Konsum- und Lebensmittelproduktionsverhalten sind Symptome davon, was bisher als moderner Lebensstil gegolten hat. Um diese Probleme bei der sprichwörtlichen Wurzel zu packen, bedarf es lediglich eines neuen Framings der Gartenarbeit. Im aktiven Teilnehmen an der Intervention #GARDENFIT soll das Publikum der Vienna Design Week für nachhaltige Lebensmittelproduktion, für die Aneignung und Begrünung des öffentlichen Raums und für die Freude an der Bewegung an der frischen Luft sensibilisiert werden: «Let’s change our cities, waistlines, and food systems!»
Hier erfahren Sie mehr zu Urban Food & Design an der Vienna Design Week.