Architektur und Innenarchitektur werden im Spannungsfeld digitaler Transformation Veränderungen erfahren. Ein spektakuläres Penthouse in der Elbphilharmonie zeigt eindrucksvoll die Möglichkeiten dieses Prozesses auf.
Ist der durchgängige Einsatz computergesteuerter, 3D-basierter Entwurfs-, Fertigungs- und Bauprozesse noch Utopie oder heute schon Realität? Was sind die Auswirkungen des hochkomplexen digitalen Umfelds auf die operative Entwurfs- und Fertigungspraxis für den hochwertigen Innenausbau? Wie implantiert man organische Räume in eine rechtwinklig-rationalistische Hülle? Wo steht die Technik der Vorfabrikation im Bauwesen heute? Welche Vorteile bietet diese moderne, intelligente Bautechnik, um Kosten, Zeit und Ressourcen zu sparen und vor allem, um bis heute auf Baustellen auftretenden Toleranzen zwischen Planung und Realisierung vor Ort auszuschliessen?
Die Verzahnung von digitalen Entwurfs- und Fertigungsprozessen eröffnet Designern, Architekten, Planern, Ingenieuren und Handwerkern jetzt auch im Innenausbau ganz neue Perspektiven. Sie ermöglicht es den Nutzern schon heute, kreative Konzepte effektiver, transparenter, kontrollierter und integrativer einzusetzen. Diese Themen standen im Zentrum der Podiumsdiskussion „Smart Digital Solutions“, die im Rahmen der Munich Creative Business Week 2018 in München stattgefunden haben. Experten wie Paolo Mazza (Architekt und Planer von Citterio-Viel & Partners Interiors, Mailand), Andreas Konle (Geschäftsführer von CORA Digital Interior Manufacturing GmbH), Frank Ackermann (Geschäftsführer der Ackermann GmbH), sowie Laurent Brückner von Brückner Architekten in München und Torben Hansen (Geschäftsführer Schotten & Hansen GmbH) sprachen über die Herausforderungen und den aktuellen Stand digitaler Transformationsprozesse in der Branche.
Vorzeigeprojekt in der Elbphilharmonie
Anhand eines Penthouses in der Hamburger Elbphilharmonie, das im Sommer 2018 fertig gestellt wird, wird der digitale 3D-basierte Prozess des Digital Interior Manufacturing vorgestellt. Bei dem High-End Ausbau – basierend auf einer analogen Entwurfsplanung, mittels Scan in ein 3D-Modell übersetzt und anhand eines durchgehenden Datenmodells umgesetzt – kommen sowohl serielle als auch CNC-gesteuerte Verfahren der Vorfertigung zur Herstellung maßgeschneiderter Bauelemente für eine Systemmontage zum Einsatz. Das innovative Verfahren des Digital Interior Manufacturing für durchgängig 3D-basierte Bauvorhaben im Innenausbau wurde für komplexe, kollektive Planungs- und Herstellungsprozesse entwickelt. Es wird von dem neu gegründeten Unternehmen CORA Digital Interior Manufacturing GmbH mit Sitz in München angeboten und ist konzipiert für Designer, Architekten, Ingenieure und Bauherren.
Das Münchner Büro Brückner Architekten GmbH als Generalplaner und der Spezialist für hochwertigen Innenausbau, Schotten & Hansen GmbH, die sich auszeichnen durch die im Yachtbau erprobte Präzision, sind in der eines ersten Gemeinschaftsprojekt. Es geht um den Bau einer zweigeschossigen Penthouse-Wohnung im 24. Stock der Hamburger Elbphilharmonie. Der ambitionierte Architektenentwurf stammt von der Innenarchitektin Irena Richter: Er sieht strahlend weisse, amorphe Räume vor, wie man sie im modernen Gebäude der von den Baseler Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron entworfenen Elbphilharmonie sicher nicht erwarten würde. Eine besondere Herausforderung für die Planer und Ausführenden war, dass die Baumassnahmen in einem relativ späten Zeitfenster die umtriebige Endphase der Fertigstellung der Elbphilharmonie nicht behindern durften. Unter anderem deswegen kam für den Ausbau des Penthouses nur eine komplette Vorfertigung infrage. Auch stand kein Bauaufzug zum Einbringen grösserer Bauteile zur Verfügung. Alles Baumaterial muss mit dem Personenaufzug auf die Baustelle gebracht werden.
Komplettplanung und Vorfabrikation mit neuem 3D-basiertem Computer-Verfahren
Um genaueste Planunterlagen zu erhalten, wurde der leere Rohbau des Penthouses mit einem Laserscanner millimetergenau vermessen und in einem räumlichen Computermodell abgebildet. In dieses 3D-Modell konnten dann die Skizzen der Innenarchitektin eingebracht und zu einer exakten Entwurfs-Planung präzisiert werden. Nächster Schritt war die Entwicklung der Konstruktion und der Installationen am Bildschirm. Der Computer zerlegte die organischen Formen, die Wand- und Deckenschalen in Einzelteile, die wie ein modulares Baukastensystem auf der Baustelle wieder zusammengesetzt werden können. Die Bauteile werden millimetergenau mit computergesteuerten CNC-Fräsen und modernen Robotern aus leichtem Porenbeton oder aus Gipskarton gefräst. Die High-Tech Methode der durchgängigen Planung und Herstellung auf der Grundlage eines räumlichen 3D-Computermodells, im Maschinen- und Fahrzeugbau und in anderen Bereichen der Produktionswirtschaft schon lange etabliert, steckt in der Baubranche noch in den Kinderschuhen. Dabei hat die innovative, computergesteuerte Bauplanung entscheidende Vorteile, denn alle Handwerker planen und produzieren, indem sie auf ein und die selbe digitale Datenbank zurückgreifen. Bautoleranzen werden so frühzeitig berücksichtigt, Änderungen in Echtzeit berechnet und an alle Beteiligten ausgegeben. Die Roboter werden vom Rechner gesteuert, produzieren individuelle Teile und sind auf serielle Vereinfachung nicht angewiesen. Bei der Probemontage, einem 1:1-Mock-up in der Werkhalle können Probleme vorab erkannt und gelöst werden, sodass eine reibungslose, passgenaue Montage auf der Baustelle auch mit drastischer Verkürzung der Bauausführungszeit möglich wird.
Rasche Montage vor Ort
Vor Ort wird eine ebenfalls am Computer entworfene Unterkonstruktion aus Holz errichtet. Anschließend werden die Installationen, die Kabelstränge und Rohrleitungen eingebaut, auch sie vorgefertigt angeliefert und ohne Verschnitt montiert. Jedes Teil hat eine eigene Nummer und wird vor Ort an seinem Platz passgenau eingefügt, für die Bauleute eine ungewohnte logistische Herausforderung. Insgesamt werden etwa 1000 Module auf der Elbphilharmonie verbaut. Zum Schluss werden die Oberflächen mit einem feinkörnigen, atmungsaktiven Material homogen verputzt. Unter dem beschwingten Dach der Elbphilharmonie entsteht derzeit nach den Wünschen des Bauherrn eine exklusive Penthouse-Wohnung in Form eines faszinierenden Raumkontinuums, das an die Expressionisten der 1910er-Jahre, an Hablik, Scharoun und an Poelzigs legendäres Berliner Schauspielhaus erinnert. Einerseits öffnet sich die raumhohe, gläserne Wand und bietet den fantastischen Blick über Elbe und Hafen, andererseits schwingt der Raum in organischen, archaischen Formen zurück und bildet geschützte, bergende Aufenthaltsbereiche. Eine Treppe zum Schlafbereich auf der Empore, Brüstungen, Tresen, Sitzbänke wachsen skulptural aus den Wänden heraus. Gänge und Durchblicke öffnen sich, führen in das höhlenartige Bad und in die Nebenräume. Das instinktive Wohngefühl, das Höhlenbauen der Kindheit, für das in unserer optimierten, pragmatischen Welt kein Platz mehr ist, wird hier in moderner, abstrakter Form wieder erlebbar. Doch erst die hochmoderne computergesteuerte Systembauweise macht es möglich, mit dieser Perfektion, unter den schwierigen örtlichen Bedingungen und in kürzester Zeit einen solchen Wohntraum zu realisieren.
Digital Interior Manufacturing
Von der ersten Skizze über Konzeptvisualisierungen bis zum fertigen 3D-Datensatz für den integrativen Einsatz für alle am Prozess beteiligten Partner steuert das Digital Interior Manufacturing (d.i.m.) den kompletten Entwurfs-, Planungs- und Umsetzungsprozess. Diese innovative Vorgehensweise dient einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, wobei Anpassungen schnell und effizient umgesetzt und Fehlerquellen eliminiert werden. Die neuen digitalen Planungs- und Fertigungsprozesse ermöglichen so eine optimierte Ausrichtung auf die Anforderungen der Branche und der Bauherren von heute und morgen. Bereits vor mehr als acht Jahren entstand die Idee, das Digitalisierungsprozesse, die in vielen Teilen der Wirtschaft bereits etabliert waren, auch die Bauwirtschaft revolutionieren können. Im Jahr 2008, nach umfangreichen Vorarbeiten wurde die Firma CORA Digital Interior Manufacturing GmbH gegründet. Unter ihrem Dach bündeln die Unternehmen Schotten & Hansen GmbH sowie Brückner Architekten aus München ihre Aktivitäten.
Beteiligte Unternehmen und Architekten
Brückner Architekten, München
Schotten & Hansen, Peiting/München
CORA Digital Interior Manufacturing GmbH, München
Ackermann Gmbh, Wiesenbronn (DE)