Damals, vor meiner allerersten Motorradreise, habe ich Gepäck, Schlafsack und 1-Frau-Zelt zuerst testweise aufgeladen. Das war schlau, denn um aufzusteigen, hätte ich die Beinflexibilität einer Kunstturnerin benötigt und die Muskelkraft einer Highland-Game-Teilnehmerin, um die gefühlt 10 Tonnen Gewicht auf den Mittelständer zu hieven. Also kam alles wieder runter, wurde auf das scheinbar Notwendigste reduziert und wieder neu aufgeladen.
Ganze drei Mal habe ich den Prozess wiederholt, bis Transportmittel und Ladung endlich einsatzbereit waren. Diese Erfahrung hat mich zwei Dinge gelehrt: Auf wie viel sich verzichten lässt, von dem man denkt, man komme ohne nicht aus. Und: Auf wie wenig Fläche sich das zum Leben Notwendige packen lässt.
Mit dem Optimieren von kleinen Flächen haben sich auch Michi, Luca und Andi lange beschäftigt, was 2020 schliesslich in der Gründung ihres Unternehmens vagabundo gipfelte. Seither zelebrieren sie mit hochwertigen Tiny Houses, die sie in Zusammenarbeit mit dem Messe- und Ladenbauer Forum herstellen, den Minimalismus der Lebens- und Wohngestaltung im höchsten Masse und auf höchstem Niveau.
Drei Modelle umfasst ihr Angebot bislang und in einem davon – dem vagabundo flex – verbringen wir heute die Nacht. Das Musterhaus liegt wundervoll abgelegen im Nordteil des Englischen Gartens in München; leicht erhöht auf seinen Stelzen (vagabundo mini und flex können sowohl auf Stützen als auch ebenerdig positioniert werden) wirkt der doppelgeschossige schmale Bau ein wenig wie ein Fantasy-Schiff aus einer Science-Fiction Geschichte.
Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein?
Drinnen empfängt uns keine ausserirdische, sondern eine freundlich-helle, an moderne skandinavische Häuser erinnernde Atmosphäre. Und: wenig Bodenfläche. So beschäftigt uns augenblicklich die Frage, ob wir einen Teil unseres Gepäcks im Auto lassen müssen, denn wir wissen erst einmal nicht, wohin mit uns (und unseren Schuhen), geschweige denn mit unseren Taschen. Die etwas versteckt hinter dem Küchentisch angebrachten Kleiderhaken bieten schliesslich Halt für unsere Jacken und Schals, und im oberen Schlafgeschoss entdecken wir später ein offenes Regalsystem, das auch etwas mehr Klamotten aufzunehmen vermag als unsere Weekender fassen.
Nach der ersten Aufregung stellt sich schnell Entspannung, ja sogar Begeisterung ein: 38 Quadratmeter Wohnfläche über zwei Geschosse verteilt stehen zur Verfügung, und diese sind mit allem und etwas mehr ausgestattet, was man zum Leben benötigt.
Im unteren Geschoss profitieren eine Sitzecke und der Essbereich mit kleiner Küche von hohen Panoramafenstern, die den Aussenraum in den schmal gesteckten Wohnraum zerren. Diese gefühlte Nähe zur Umgebung hat mit einer Verortung mitten in der Natur natürlich ihren grössten Reiz; als die Nacht unseren erleuchteten Miniglaspalast in ein Glühwürmchen mitten in der Dunkelheit verwandelt, hätten wir uns in einer belebten Umgebung wohl Jalousien oder Vorhänge gewünscht.
Feintuning der Innenausstattung ist bei vagabundo immer möglich, so können Materialien der Innen- und Aussenwände, der Böden und Einbauten sowie die Fenstergrössen oder Möbel individuell gewählt werden. So ist in der Basisausstattung der Basisaufbau, die Elektro- und Wasserinstallation, Fussbodenheizung sowie das Badezimmer enthalten. Mit den Paketen Plus und Premium können die Küche sowie weitere Möbel als auch Sonderausstattung hinzugebucht werden. Am Ende entscheidest du dich für dein individuelles Tiny House.
Nur die Grundflächen der drei Modelle lassen sich nicht ändern. Wir sind mit der Innenausstattung absolut zufrieden, denn diese zeigt sich unglaublich clever und durchdacht – keine Fläche ist verschwendet, wo immer möglich ist Stauraum untergebracht: unter der Sitzbank im Fenster, unter der Treppe, in der kreativen Vorstellungskraft des vagabundo-Teams. «In unseren selbst ausgebauten Campern haben wir gelernt, wie man mit wenig Platz zurechtkommt», erklärt Andi die penibel und teils verspielt umgesetzten Detaillösungen, die das kompakte Wohnen auf die Spitze treiben.
Qualität schön komprimiert
An einen Camper mit billiger Klapptisch-Ausstattung erinnert hier aber nichts. Eichenholzboden, Holzmöbel und eine hochwertig bestückte Küche mit Kochgeräten von Bora lassen uns in einer Welt des zeitgemässen, nahezu luxuriösen Wohnens schwelgen. Selbst das winzige Bad wächst dank seiner Ausführung zu einer real nicht existierenden stolzen Grösse heran. Sogar eine Waschmaschine können wir im letzten ausgebauten Winkel finden. Über eine massive Holztreppe steigen wir in die «Kapitänskajüte» – ein gemütlicher Rückzugsort, der wie ein Adlerhorst über die Umgebung wacht.
Platz gibt es hier für ein tolles vagabundo Steckbett und eine zweite, temporäre Schlafgelegenheit neben dem bereits erwähnten Kleiderschrankersatz, dem offenen Regal. Mehr braucht es auch nicht. Endlich in der Horizontalen und im Halbschlaf angekommen, werden wir uns noch des perfekten Lichtkonzepts gewahr, das sich als indirekt leuchtender, die Decke umrandender Schein präsentiert.
Beim Frühstück diskutieren wir unsere Wahrnehmungen durch. Auf Fabia, die privat eigentlich mit noch weniger Quadratmetern auskommen muss (jedoch noch auf einen Keller und einen grossen Balkon zurückgreifen kann) wirkt das Tiny House «tinier» als angenommen. Vielleicht ist das auf den schmalen Grundriss und die doppelstöckige Anordnung zurückzuführen, da durch den Treppenaufgang Fläche (allerdings kein Stauraum) verloren geht.
Vielleicht aber auch darauf, dass Fabia noch keinen Kaffee hatte... Auf mich jedenfalls wirken gerade die Zweigeschossigkeit (übrigens ist vagabundo der einzige Anbieter, der für ein Tiny House zwei vollwertige Stockwerke anbietet) und die Höhe der Räume unerwartet grosszügig. Und die Tatsache, dass ein ganzes, frei stehendes Haus zur Verfügung steht, lässt meine eigene, viel grössere Wohnung plötzlich schrumpfen...
Bereit für die materielle Reduktion?
Wir sind uns aber einig, dass das Konzept hervorragend als Feriendomizil, Wochenendhaus, temporäres Wohnatelier, Gästehaus oder als einsetzbares Element für verdichtetes Wohnen funktioniert. Für das Abenteuer, fix darin zu leben, sind wir allerdings (noch) nicht bereit. Zu voll ist der Kleiderschrank, zu viele Bilder benötigen eine freie Wand. Doch wer weiss, vielleicht manifestiert sich das Wissen, dass Reduktion sehr befreiend sein kann, irgendwann auch in der Wahl des Wohnraums.
Zum Wohnen im Tiny House benötigt man übrigens erschlossenen Baugrund und auch eine Baugenehmigung. In Deutschland gibt es für einen begrenzten Zeitraum von beispielsweise 5 bis 10 Jahren auch die Möglichkeit einer «befristeten Baugenehmigung». Für solche und weitere Fragen etwa zum Projektablauf wendet man sich aber am besten direkt an das Trio oder klärt erste Fragen online.
Für alle, die das vagabundo flex live in seiner ganzen Pracht erleben wollen, gibt es gute Nachrichten: Schon bald zieht das Modellhaus weiter nach Kirchheim und kann vom 15.5. bis 16.10. an der Bayerischen Landesgartenschau 2024 besichtigt werden.
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