«Potthässlich», so lautete das erste Resümee, als Talitha und Michael Bainbridge das Exposé mit Fotos des Hauses von einem Makler per Mail geschickt bekamen. Es war ein Okal-Fertighaus aus den 70er-Jahren in der Nähe von Lörrach an der schweizerisch-französischen Grenze mit braunen und hellbeigen Fliesen, braunen Waschbecken und den für diese Zeit typischen dunkelbraunen Fensterrahmen.
Trotzdem liessen sie sich davon nicht entmutigen und vereinbarten einen Besichtigungstermin. Als sie vor Ort waren, wartete das Objekt mit vielen Vorteilen auf: Es war nicht nur grösser als angegeben, das Eckgrundstück hat auch den ganzen Tag Sonne, und die scheint im Südbadischen glücklicherweise sehr oft. Der Keller war so gross, dass sich hier noch eine Ferienwohnung für Michaels Eltern unterbringen liess, die beide in Amerika leben, und wenn sie zu Besuch sind, gleich einige Wochen bleiben.
«Als wir das Potenzial sahen, schnappten wir uns 2019 sogleich dieses Einfamilienhaus in leichter Hanglage», erzählt er in fast akzentfreiem Deutsch. Der Multimedia- und Grafikdesigner aus Indiana im Mittleren Westen der USA, der in Cincinnati, Ohio, seinen Abschluss machte, und seine Frau Talitha, die in Lörrach geboren wurde und ihre Jugend in Basel in der Nähe des Kunstmuseums Fondation Beyeler verbrachte, lernten sich 2009 in Amerika kennen und verliebten sich.
Michael entschied sich 2010, nach Deutschland zu ziehen, um dort eine Firma für digitales Marketing zu gründen. Talitha absolvierte im Fernstudium einen Diplomstudiengang für Raumgestaltung und Innenarchitektur und machte danach zusätzlich 2015 ihren Bachelor an der Hochschule für Kunst, Design und Populäre Musik in Freiburg.
Ein Jahr später gründeten die beiden ihr multidisziplinäres Designbüro ZWEI Design mit den Schwerpunkten Designkommunikation, privates Interiordesign und Architektur. Ihre Arbeitsphilosophie ist vielschichtig und geht über die Ansprüche an Ästhetik, Geschmack und Stil hinaus.
Besonders wichtig sind ihnen sinnvolle und nachhaltige Gestaltungskonzepte. Unter dieser Prämisse standen auch die Renovierung und die Einrichtung ihres neuen Domizils. Sie versuchten, die Ästhetik mit Wohngesundheit und einem minimalen ökologischen Fussabdruck zu verbinden.
Viele Möbel sind aus nachwachsenden Materialien. Holz stand dabei an erster Stelle. Mehrere Designikonen und Accessoires stammen von Flohmärkten in der Schweiz und in Frankreich. Das deutsch-amerikanische Paar verbringt mehrere Wochen im Jahr in Uzès im Departement Gard. Dort besitzen Talithas Eltern ein Ferienhaus. «Wir lieben es, in den Brocantes, wie die Secondhandläden für Möbel in Frankreich heissen, herumzustöbern», sagt sie. «Einem Möbel ein zweites Leben zu geben, ist für uns gelebte Nachhaltigkeit.»
«Einem Möbel ein zweites Leben zu geben, ist für uns gelebte Nachhaltigkeit.»
Innovativer Esstisch
Den Garten gestalteten die Kreativen von Grund auf neu. Ein Kiesweg, der von weissen Hortensien und Prachtkerzen gesäumt wird, führt zur Haustür. Als Reminiszenz an den Stil der 70er-Jahre beliess das Paar den Eingangsbereich, die Metalltür mit den strukturierten Glaselementen blieb erhalten.
Auch den Grundriss veränderten sie nicht. Die Aufteilung fanden beide ideal. «Das Einzige, was wir verändert haben, war, dass wir den Türsturz auf 220 Zentimeter erhöhten, um die Räume grösser wirken zu lassen, das macht unglaublich viel aus», erklärt Michael.
Im Flur kombinierte das Paar mit viel Stilgefühl den 1954 vom japanischen Designer Sori Yanagi entworfenen «Butterfly-Stuhl» aus Formsperrholz mit seiner sanft geschwungenen Silhouette, die an einen Schmetterling erinnert, mit der filigranen Holzablage «Alba» der beiden spanischen Designer:innen Maria José Vargas und Daniel García Sánchez, die 2012 das nachhaltige Label Woodendot in Madrid gründeten.
Gleich neben dem Entree liegt die Küche. Für die Unterschränke entschieden sich Talitha und Michael für eine preisgünstige «Metod»-Küche von Ikea. Englische Fronten aus dunkelbraun gebeiztem Bambus von Custom Fronts verleihen ihr einen individuellen Look.
Die Arbeitsflächen und die Rückwände sind aus Feinsteinzeug. Der sogenannte Sapienstone imitiert einen Naturstein täuschend echt. Weil sich Grossformate von 320 mal 160 Zentimeter problemlos herstellen lassen, ist die gesamte Arbeitsfläche fugenlos. Auf dem Boden wurden Terrazzofliesen verlegt. Weil beide viel und gerne kochen, haben sie sich bewusst dagegen entschieden, die Küche zum Wohnbereich zu öffnen.
Der Essplatz liegt sowieso gleich daneben. Dafür wählten sie charakterstarke Möbel wie die klassischen Bugholzsessel 209 mit Wiener Geflecht von Thonet. Die Klassiker entdeckte das Paar während einer Reise nach Südtirol in einem Restaurant, das sie ausmustern wollte. Bei Thonet in Frankenberg liessen sie alle Stühle aufarbeiten und neu beziehen. «Wenn Firmen ihre Möbel auch noch nach Jahren reparieren, macht es ihre Produkte umso wertvoller», findet Michael. Der Clou ist jedoch de Esstisch, der aussieht wie ein ganz normaler Tisch, auf dem sich aber kochen lässt. Das erst 2022 gegründete Berliner Start-up Atoll hat ihn entwickelt. Die Induktionsfelder sind bei «Mea» in einen Kunststein in Marmor optik integriert. Ist der Kochbereich deaktiviert, wird er wieder zur normalen Tischplatte.
Die Wand zur Küche wollten die Kreativen bewusst nicht mit Farbe gestalten, damit sie nicht mit dem gegenüberliegenden Gemälde von Sandrine Fabre aus Uzès konkurriert, ihr aber trotzdem eine Textur geben: Talitha hatte die Idee, weisses Leinen so zuzuschneiden, dass es wie ein Taschentuch aussieht. Die anschliessend mit Stärke behandelten und zer-knüllten Tücher bringen Struktur an die Mauer. «Gesundheit», so betitelte sie ihre Kunstinstallation.
Das Sideboard in Altrosa aus Birkensperrholz fand das Designduo bei dem Warschauer Unternehmen Tylko. Sie konfigurierten das Möbel aus Mulitplexplatten nach ihren Wünschen. Gläser und Geschirr sind darin verwahrt.
«Der von Marcel Breuer 1925/26 entworfene ‹Wassily-Chair› ist ein Paradebeispiel dafür, wie inspirierend Design sein kann.»
An der Längsseite des Hauses zum Kiesweg hin liegen das Kinderzimmer ihres 18 Monate alten Sohnes Asa, das Elternbad, das Schlafzimmer und das Büro. In den beiden Letzteren erhielt jeweils eine Wand einen neuen Look. Die im Baumarkt zugeschnittenen und an die Wand montierten MDF-Paneele erzeugen optische Tiefe und verleihen den Räumen Persönlichkeit.
Besonders das Schlafzimmer ist dadurch ein authentischer Rückzugsort geworden. Hier möchte das Paar zur Ruhe kommen, deswegen verzichteten sie auf Bilder oder Fotos. Wichtig war beiden ein minimalistisches Konzept, das sich an die Ästhetik japanischer Einrichtungen anlehnt. Das puristische Bett aus schwedischem Kiefernholz mit integrierten Stauraummöglichkeiten für Bücher oder das Smartphone an den Längsseiten entdeckten sie bei der dänischen Firma Karup.
«Für den deutschen Markt produzieren sie extra eine dickere Futonmatratze», erklärt Talitha lächelnd. Zusammen mit der Firma mynthome entwickelte ZWEI Design die schadstofffreie, nachhaltige und vegane Ceramic-Studio-Farbe. Der sanfte Ton unterstreicht die Schlichtheit und die bewusste Einfachheit des Interiors.
«Mit MDF-Paneelen an der Wand lässt sich eine optische Tiefe erzeugen. Das verleiht den Räumen Persönlichkeit.»
Pures Wohnglück
Auch das Wohnzimmer ist ein Raum zum Entspannen. Ein einziges Bild zieht die Blicke auf sich – wieder ein günstiger Kauf in einem Brocki in der Schweiz. Wie im Essbereich liessen die Interiordesigner:innen hier einen ungarischen Chevron-Boden verlegen.
Die parallel zusammenlaufenden Eichendielen in V-Form, die im 60-Grad-Winkel verlegt wurden, wirken besonders elegant. Der «Wassily-Chair», den Marcel Breuer 1925/26 entwarf, war für beide ein Herzenswunsch. «Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie inspirierend Design sein kann», meint Michael.
Der «Utrecht-Sessel», den der Niederländer Gerrit T. Rietveld 1935 gestaltete, ist das perfekte Pendant zu der sich ebenfalls schräg nach hinten neigenden Sitzfläche. Das filigrane Stahlrohrmöbel und der opulent wirkende Lounger unterscheiden sich zwar in ihrem Volumen, aber beide kennzeichnet das Spiel mit der Geometrie – kein Wunder, beide Designer arbeiteten auch als Architekten.
Vom Wohnzimmer geht es auf die neue Holzterrasse. Auf der tiefer gelegten Kiesfläche bildet eine Feuerschale das Zentrum. Am Abend sitzt die Familie hier gerne mit Freund:innen in der Runde zusammen mit Blick auf das lodernde Feuer. Selbstverständlich ist auch Hündin Ida mit von der Partie.