Eine Weltreise durch sieben Zimmer

Hotelperle in Mulegns

Aussenansicht von altem Hotel mit Anbau

Das sanfte Grün der Fassade entspricht der ursprünglichen Bemalung des Post Hotel Löwe.

Queen Mary, Dr. Albert Schweitzer oder der deutsche Kaiser Wilhelm II: In den Gästebüchern des Post Hotel Löwe tauchen zahlreiche illustre Namen auf. Die Einträge reichen bis ins Jahr 1864 zurück, als Geschäftsreisende aus Industrie und Wirtschaft, Alpinist:innen oder Erholungssuchende mit Pferdekutschen in Mulegns eintrafen. Die winzige Ortschaft liegt an der Julierstrasse, die zum gleichnamigen Pass führt. Zum Hotel gehört auch das ehemalige Telegrafenamt, das heute Rezeption und Ankunftsort ist. Das Haupthaus betritt man über eine in kräftiges Ockergelb getünchte Eingangshalle. Wie fast alle Räume verfügt sie über eine bemalte Decke, die im Zuge der Renovation sorgfältig freigelegt wurde. Zu ihrer Linken und Rechten liegen die Gaststuben.

Aus drei miteinander verbundenen Zimmern entstand die Petersburger Suite. Die Tapeten erinnern an das berühmte Bernsteinzimmer, das sich einst in russischem Besitz befand und heute als verschollen gilt.

Hinter jeder Tür eine eigene Welt

Das original erhaltene Treppenhaus führt zu den sieben Zimmern hoch. Sich für eines davon zu entscheiden, dürfte den Gästen nicht leichtfallen. Am vermeintlichen Ziel angekommen, geht die Reise im Post Hotel Löwe erst richtig los: London, Sankt Petersburg, Helsinki oder Turin – hinter jeder Zimmertür verbirgt sich eine eigene kleine Welt, die an die Herkunftsorte der früheren Gäste erinnert. In Paris entfaltet die Tapete eine dreidimensionale Wirkung und hüllt die Besuchenden in königliches Rot und Gold. London täuscht eine einzigartige Lichtstimmung vor, die selbst der Dunkelheit standhält. An den Zimmerwänden der Petersburger Suite funkeln Malachite und Bernstein. Mehrfach zu existieren scheint das Moskauer Zimmer, das sich in einer holographierenden Tapete spiegelt.

Im Gegensatz zu früher haben die Badezimmer viel Platz erhalten und nehmen je einen eigenen Raum ein. Während einige davon noch den Charme der 1970er-Jahre versprühen, entführen einen die anderen in eine Moskauer U-Bahn-Station oder in die Grotten eines Florentiner Palazzo.

Die neuen Badezimmer sind die Kleinodien des Hotels. Das Bad des Turiner Zimmers spielt mit der Darstellung einer Grotte.

Das Telegrafenamt ist der neue Empfangsraum für Gäste und Passanten in Mulegns. Die Deckentapete nimmt die Tradition der bemalten Decken im Hotel auf.

Dass die Interieurs bisweilen wie Bühnenbilder wirken, ist kein Zufall. Das Haus gehört der Nova Fundaziun Origen, einer Kulturinstitution, deren Wurzeln im Theaterschaffen gründen. Zusammen mit der Architektin Anja Diener und Giovanni Netzer, dem Gründer der Stiftung, hat der Textildesigner Martin Leuthold in Mulegns ein Gesamtkunstwerk geschaffen. Aus jeder Schicht, die beim Hotelumbau freigelegt wurde, entwickelte das dreiköpfige Team neue Ideen, wie die Geschichte des Hauses weitererzählt werden könnte.

Die Gaststuben im Erdgeschoss bringen einen zurück in die Bündner Bergwelt. Aus den Fenstern der blauen Stube blickt man auf den tosenden Fallerbach. In der getäferten Gaststube zieren überdimensionale Geranien die Vorhänge. Dabei handelt es sich um eine Hommage an die letzte Hoteldirektorin, die das Haus geführt hat, bis es kurz vor dem Zerfall stand. Dessen maroder baulicher Zustand lässt sich inzwischen nicht mehr erahnen, doch die Geschichte der Gäste und der Familien, die das Hotel während Generationen geführt haben, leben weiter.

 

Weitere Informationen: www.origen.ch