«Not macht erfinderisch»! Was für jemand ein Mittel zum Zweck ist, weil keine anderen Ressourcen vorhanden sind, war für Jutta Werner, Gründerin des Teppich-Labels NOMAD, ein wahrer Schatz. Sogar ein «Urknall», wie sie es in unserem Gespräch beschreibt. Eine Begegnung mit einem indischen Bauern hat sie dazu gebracht, mit Materialien und Ressourcen zu arbeiten, die für viele Menschen bloss Abfall sind. Wie aus Bonbonpapier Teppiche wurden, könnt ihr im Interview lesen.
Was ist NOMAD?
Jutta Werner: NOMAD war nie ein Plan, sondern ein Zufall. Vielleicht auch ein Urknall, als ich in den Himalaya auf Bauern traf, die ihre Ernte mit verdrehten Schnüren aus ehemaligem Bonbonpapier zusammenbanden. Dieser Bonbon-Industrieabfall ist ein Bestandteil unseres ersten NOMAD Teppichs geworden, dem Candy Wrapper Rug. Er hat den German Design Award gewonnen und ist das Herzstück unserer NOMAD Kollektion.
Die Geschichte mit dem Urknall möchte ich hören. Wie ist der Candy Wrapper Rug entstanden?
JW: Es geschah eine Tages im Himalaya-Gebirge. Eine deutsche Frau, die durch die Region reiste, sah den lokalen Bauern dabei zu, wie sie ihre Heuballen mit bunten Schnüren bündelten. Sie stand da, umgeben von nichts als Natur, fasziniert von den Farb- und Lichtstrahlen, und fragte sich, was das für Saiten sein könnten. Als sie näher kam, wurde die Struktur der Schnüre klarer und in dem Moment, als sich ihre Hände um die leuchtenden, silbrig leuchtenden Schnüre schlossen, wurde ihr klar, dass sie aus recycelten Bonbonpapieren bestanden. Die Bonbons, die sie zuvor bereits an fast jedem kleinen Haus mit Wellblechdach im Wind tanzen sah.
Und was für die Bauern nichts weiter als nützlicher Abfall war, war für die deutsche Frau ein Stück Magie. Sie konnte ihr nicht widerstehen und musste die regenbogenfarbenen Stücke mit nach Hause nehmen. Sie reiste weiter, sogar nach Indien, und suchte viele Jahre. Bis sie endlich eine Weberin fand, die aus diesen magischen Fasern einen magischen Teppich herstellen konnte.
Wie ging die Geschichte weiter?
JW: In einer traditionellen indischen Weberei wurde der bis dahin unbeachtete Rohstoff verarbeitet und mit schlichter Schurwolle in allen möglichen Farben kombiniert. Als sich die Materialien vereinten, bewiesen die deutsche Frau und die Weberinnen alle Zweifler, dass aus einem weggeworfenen Gut ein kostbarer Teppich gemacht werden kann. Die deutsche Frau kehrte in ihr Zuhause im kalten Norden zurück, mit Teppichen, die wie die Oberfläche von plätscherndem Wasser glänzten.
Die Menschen erzählen noch immer die Geschichte der Teppiche, die wie ein Sonnenaufgang aussahen und wie die Flügelschläge klangen, die man hört, wenn man auf den Stufen der verzauberten Tempel in der Nähe des Mount Abu sitzt. Diese deutsche Frau heisst Jutta Werner und das ist die Erfüllung ihrer Träume: NOMAD.
Was für eine tolle Geschichte! Du lässt dich demnach bei deinen Kreationen vom Material leiten. Was ist dir bei deinem Design besonders wichtig?
JW: Die Designs von NOMAD kombinieren Naturmaterialien mit Upcycling-Stoffen. Es gibt wunderbare Reste von anderen Produktionen, denen man neues Leben einhauchen kann, ohne neue Energie zu verbrauchen.
Wir möchten für jeden Abfall und jedes Leftover die beste Materialverbindung finden, um sie neu einzusetzen. Mir ist es wichtig, Dinge, die schon da sind, mit Respekt zu behandeln. Indem wir sie wieder verwenden, schenken wir ihnen eine neue Beachtung in High-End-Design.
Aus welchen Materialien werden deine Teppiche hergestellt?
JW: Wir haben drei Kollektionen und launchen gerade die vierte Kollektion. Der Candy Wrapper Rug aus Bonbonpapier und Schurwolle war der erste. Danach kam der Rubber Rug aus benutzten Fahrradschläuchen und Polypropylen-Garn. Der Coco Rug aus Schafsfellresten und Polypropylen-Garn. Brandneu ist der A_Rug, der Teppich wird aus Sari-Resten und Schurwolle hergestellt.
Was ist die Schwierigkeit, wenn man mit Reststücken und Abfällen arbeitet?
JW: Restmaterialien haben bereits ein Leben hinter sich. Das bedeutet, man unterzieht sie einer genauen Prüfung, muss sie teilweise säubern oder neu formen. Sie sind nicht genormt und nicht jederzeit abrufbar oder bestellbar. Daher gilt es, langfristig zu denken und alles gut zu organisieren.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich im Kontext deiner Arbeit als Designerin?
JW: Viele Firmen stürzen sich auf das Thema. Es besteht viel Greenwashing und die Begriffe verkommen teilweise zu Marketingtools. Auf der anderen Seite gibt es Marken, die sich dem Thema schon lange verschrieben haben, aber deren Produkte unsexy sind. Wir bei NOMAD gehen einen anderen Weg.
Wir möchten langlebige, gut designte Produkte anbieten, denen man nicht ansieht, dass sie Re- oder Upcycled sind. Es steht der gekonnte und innovative Einsatz des Materials an erster Stelle. Dass wir Leftover benutzen, unsere Weber überdurchschnittlich bezahlen und mit vielen anderen Themen ganz anders umgehen, macht NOMAD zu einer Marke, die ganzheitlich denkt. Wir verkaufen gewebtes Leben.
«Wir verkaufen gewebtes Leben.»
Du produzierst in Indien. Wie ist es dazu gekommen?
JW: Ich bin seit 2013 immer wieder für andere Kunden durch Indien gereist und habe dort in verschiedenen Webereien gearbeitet. Seit dem bin ich diesem Land und seinen Webmöglichkeiten verfallen. «Meine» Weberei habe ich 2018 durch einen Zufall auf der DOMOTEX, eine internationale Messe für Teppiche und andere Fussbodenbeläge, in Hannover kennengelernt.
Gibt es etwas, das du unbedingt noch designen möchtest, etwas, das du bis jetzt noch nicht kreiert hast?
JW: Oh, da gibt es sehr viele! Auf jeden Fall gehört ein Haus dazu. Die Wirkung von Räumen ist unglaublich. Ich durfte sehr oft Showrooms und Messestände gestalten und konnte die Wirkung meiner Raumgestaltung auf die Besucher sehen. Das würde ich sehr gern mal bei einem Haus erleben. Obwohl ich Hochbau studiert habe, bin ich das Projekt noch nicht angegangen.
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