Blick in die Zukunft

Leben in den Alpen 2.0

Die (Zukunfts-)Gestalterinnen, so nennen sich Susanne Barthl, Jill Kayser, Hanna Hodžić und Flavia Bienz von Strobo, dem Büro für Zukunftsdesign. Sie überlegen sich Zukünfte, kreieren mögliche Szenarien und machen Trendanalysen, um herauszufinden, wie ein mögliches Morgen aussehen könnte. Bei dem Projekt «Alp-urbia» haben sie sich zusammen mit dem Nürnberger Designstudio keingarten überlegt, wie der Alpenraum als Lebensraum der Zukunft aussehen könnte.

AI generierte Häuser in den Alpen.

Die «Alp-urbia» ist eine Zukunftsvision, wie das Leben in den Alpen aussehen könnte.

Ihr seid mit «Alp-urbia» Shortlist-Gewinner des Space10 «Regenerative Futures» Wettbewerb geworden. Gratulation! Worum geht es in diesem Projekt?
Strobo: «Alp-urbia» behandelt die Wiederbelebung verlassener oder dünn besiedelter Alpendörfer. Die Aufgabe des Wettbewerbs war es, mithilfe von KI-Visualisierungen für regeneratives Leben in der Zukunft zu visionieren.

Unseren Beitrag haben wir im Alpenraum verortet. Einerseits, weil die Alpen auch uns als Team verbinden, aber auch weil sich dort viel verändern wird. Sie werden infolge von Klimawandel und Bevölkerungsentwicklung wahrscheinlich dichter besiedelt. Gerade weil menschliche Eingriffe in den Alpen sehr starke Auswirkungen haben, würden wir gut daran tun, diese mit Bedacht vorzunehmen und die Konsequenzen abzuwägen.

 

Mit «Alp-urbia» sprecht ihr eine Sehnsucht an, die viele Menschen seit der Pandemie haben: mehr in der Natur zu leben und trotzdem ihren aktuellen Berufen nachzugehen. Meint ihr, diese Sehnsucht wird sich Post-Pandemie wieder verändern?
Strobo: Wir hätten während der Pandemie nicht gedacht, dass wir alle so schnell wieder zum «alten Normal» zurückkehren. Die Sehnsucht nach mehr Naturverbundenheit, Entschleunigung und Reduktion von Komplexität sind Teil verschiedener Megatrends, die bereits vor der Pandemie bestanden haben und sich weiterentwickeln werden.

 

Wie wird sich diese Veränderung zeigen?
Strobo: Die Landflucht wird sich im deutschsprachigen Raum wohl vor allem im Mittelstand und bei Menschen zwischen 30 und 50 zeigen. Die Alpen werden sich sicher verändern, allein schon durch die Auswirkungen des Klimawandels.

Schafe unter einem Sonnensegel, als Schutz vor der Sonne.

Die Klimaerwärmung wird das Leben in den Alpen verändern, denken Strobo.

Ist es nicht auch einfach okay, wenn Bergdörfer aussterben und dieser Raum wieder an die Natur zurückgeht?
Strobo: Für die umliegende Natur wäre das wohl das Beste. Wenn wir uns die demografische Entwicklung im Alpenraum anschauen, zeichnet sich aber bereits heute ab, dass der perialpine Raum (Täler und Randgebiete) Bevölkerungszuwachs erhält.

Migration aufgrund des Klimawandels und die Landflucht der Städter:innen wird wahrscheinlich noch mehr Menschen in die Alpenregion treiben. Da menschliche Eingriffe sehr starken Einfluss auf Flora und Fauna in den Alpen haben, ist es essenziell, diese Wohlbedacht vorzunehmen. Weil das idyllische Bild Alpen für viele Länder auch identitätsstiftend ist, sehen wir grosses Potenzial, sich diesem Thema sowohl interdisziplinär als auch länderübergreifend anzunehmen. Zu dieser Entwicklung möchten wir mit unserem Projekt beitragen.

 

Wie sollen die neuen Lebensräume in den Bergdörfern aussehen? Eurem Projektbeschrieb sind unterschiedliche Ansätze oder wie Revitalisierung, bestehende Habitat zu transformieren, zu lesen und gleichzeitig zeigen die Visualisierungen scheinbar neu gestaltete Dörfer.
Strobo: Die Praktiken in «Alp-urbia» sind eine Mischung von Rückbesinnung auf Traditionen, die früher aufgrund von beschränkten Ressourcen nachhaltiger waren als das, was wir heute tun.

Andererseits gibt es natürlich auch neue Technologien, die in ein regeneratives Leben passen. Die Visualisierungen sind mit den Bild-KI’s Midjourney und Stable Diffusion entstanden. Gemeinsam mit dem Nürnberger Designstudio keingarten haben wir viel experimentiert, doch wir haben auch festgestellt, wo die Arbeit mit Bild-KI an ihre Grenzen stösst.

 

Wie hätte die «Alp-urbia» eigentlich aussehen sollen?
Strobo: Die Gebäude in den Visualisierungen sehen eher neu aus. Angedacht für unser Szenario war es, durch Retrofitting von bestehenden Strukturen einerseits vorhandene Ressourcen auszunutzen, andererseits keine neue Bodenfläche zu besetzen. Dabei ist «Alp-urbia» nur ein Szenario von einer Vielfalt möglicher Zukünfte.

Für einen Vortrag an der Munich Creative Business Week erarbeiten wir noch weitere. Einerseits um auf weitere Entwicklungen einzugehen, aber auch um die verschiedenen Wege, die wir einschlagen können, zur Diskussion zu stellen.

 

Eine Küche mit Blick ins Grüne.

Die Küche verschmilzt mit ihrer grünen Umgebung auf der «Alp-urbia».

Ein unterirdischer Eingang und eine Frau die sich hineinbegibt.

Unter der Erde befinden sich in Zukunft nicht bloss Verstorbene. Wenn es nach Strobo geht, wohnen wir vermehrt auch unterirdisch für eine bessere Ökobilanz.

Wie sehen die Häuser der «Alp-urbia» aus? Was haben sie für eine Materialität?
Strobo:
Die Häuser und Hütten in «Alp-urbia» bestehen grösstenteils aus den Materialien, die schon vor Ort, also an und in den Häusern selbst, zu finden sind – entsprechend des regenerativen Ansatzes des Retrofittings.

So werden Holz und Stein beispielsweise mit nachhaltigen Betonvarianten ergänzt, Risse oder Löcher an den Innen- und Aussenwänden mit Materialien auf Mycelienbasis gefüllt. Partiell mit Pflanzen bewachsene Wände und Decken im Schlaf- und Wohnbereich sorgen darüber hinaus für ein angenehmes Raumklima.

«Für unser Szenario war es uns wichtig, menschliches und nicht-menschliches Leben in Symbiose miteinander zu vereinen – auch in der Architektur. Denn einer der Kernpunkte «Alp-urbias» ist es, dass Mensch und Flora und Fauna in Einklang leben.» – Strobo

 

Wie geht es nun weiter? Wird das Projekt realisiert?
Strobo: Zukunftsforschung kann natürlich die Absicht haben, valable Szenarien und Handlungsempfehlungen zu entwickeln, die dann auch umgesetzt werden. Gerade in Zusammenarbeit mit Unternehmen oder Organisationen ist das oft das Ziel.

Mit «Alp-urbia» und auch den weiteren Szenarien, die aktuell entstehen, möchten wir die Aufmerksamkeit auf die Transformation lenken, die dem Alpenraum bevorsteht. So sollen sich möglichst viele Menschen sich an der Diskussion beteiligen und schlussendlich die Gestaltung der zukünftigen Alpen mitprägen.

 

Vier Frauen, die auf einer Mauer sitzen, im Hintergrund ist ein Haus.

Die vier (Zukunfts-)Gestalterinnen von Strobo Susanne Barthl, Jill Kayser, Hanna Hodžić und Flavia Bienz.

Was ist Strobo?
Strobo: Strobo ist ein Büro für Zukunftsdesign. Wir analysieren die Gegenwart, entwerfen mögliche Zukünfte und machen diese auf verschiedene Arten fassbar. Dadurch können wir sie diskutieren und gemeinsam heute die Weichen für ein wünschenswertes Übermorgen stellen.

 

Wie sieht der Alltag einer Trendforscherin aus?
Strobo: Einen «klassischen» Alltag gibt es eigentlich nicht. Was ständig mit dazu gehört: Unser Radar für gesellschaftlichen Wandel und Zeitgeist ist immer an. Denn zu unseren Aufgaben als Trendforscherinnen gehört es nicht nur, die neuesten Studien und Reports zu wälzen und Szenarien zu schreiben, sondern auch unsere Mitmenschen, verschiedene Lebensbereiche, Produkte oder Dienstleistungen zu beobachten und einzuschätzen. Über die Jahre haben wir unsere Augen für Transformation geschärft und erkennen Signale und Phänomene, die auf Trends und Entwicklungen hinweisen.