Eine neue Ära der Architektur

Interview mit Tim Fu

Porträt von Tim Fu, der auf einem Hocker sitzt und nachdenklich links aus dem Bild schaut.

Tim Fu studierte an der Toronto Metropoli­tan University und der Architectural Asso­ciation (hons) und sammelte erste Arbeitserfahrungen bei Zaha Hadid Architects, bevor er 2023 Studio Tim Fu in London gründete.

Roland Merz: Was bedeutet Architektur für Sie, und was hat Sie dazu inspiriert, in diesem Bereich tätig zu werden?

Tim Fu: Architektur ist für mich eine Manifestation der menschlichen Leistung. Sie ist eine Gelegenheit, den Dialog zwischen Kunst und Technologie zu erforschen. Meine Reise begann mit meinem tiefen Interesse an natürlichen Formen, Mathematik und Philosophie. Dieses Interesse führte mich dazu, mich auf fortschrittliches Computerdesign zu spezialisieren, was mich schliesslich dazu brachte, mich mit Architektur zu befassen, mit einzigartig komplexen Formen des architektonischen Ausdrucks.

RM: Wie hat Ihre Zeit bei Zaha Hadid Architects Ihre Herangehensweise an Design und Architektur beeinflusst?

TF: Die Arbeit bei Zaha Hadid Architects war von entscheidender Bedeutung. Es ging nicht nur darum, Gestaltung zu lernen, sondern auch darum, die Philosophie des Überschreitens von Grenzen zu verstehen. Bei ZHA lernte ich den rigorosen Einsatz von parametrischem Design kennen, bei dem jede Kurve, jede Oberfläche eine kalkulierte Entscheidung war, um eine rationale Konstruktion zu ermöglichen, und nicht nur eine ästhetische Wahl. Diese Erfahrung vermittelte mir die Bedeutung der Kohäsion in der Komplexität – wo chaotische Formen durch zugrundeliegende Algorithmen eine Ordnung finden. Sie hat auch meinen Glauben an die Zukunft der Architektur gefestigt, die von fortschrittlichen Berechnungen und künstlicher Intelligenz bestimmt wird.

Ein Haus, das an einer Klippe hängt und wie ein organischer Pilz in die Luft hinausragt.

Ein spektakulärer Entwurf für ein Cliff House (2023).

Ein futuristisches Wohnzimmer mit geschwungenen Fenstern, die in eine neblige Klippenlandschaft blicken.

Der hypothetische Ausblick aus dem Cliff House.

RM: Warum sehen Sie KI als eine transformative Kraft in der Architektur?

TF: KI, insbesondere generative KI, ist nicht nur eine transformative Kraft in der Architektur – sie stellt eine revolutionäre Technologie dar, die einen Paradigmenwechsel in der Geschichte der Menschheit markiert. Wir sind Zeugen eines Moments, in dem maschinelle Intelligenz beginnt, sich sinnvoll in den kreativen Prozess einzubringen, und die Art und Weise, wie wir an Design und Problemlösungen in allen Disziplinen herangehen, grundlegend zu verändern. In der Architektur ermöglicht uns die Fähigkeit der KI, riesige Datensätze zu synthetisieren und neuartige, realisierbare Entwürfe zu erstellen, kreative Grenzen wie nie zuvor zu überschreiten. Aber auch über die Architektur hinaus signalisiert die generative KI eine neue Ära, in der die menschliche Kreativität verstärkt und unsere Beziehung zur Technologie neu definiert wird. Diese Technologie verbessert nicht nur die Architektur, sondern stellt unsere gesamte Herangehensweise an die Kreation infrage und ist damit ein entscheidender Moment in der Evolution unserer Spezies.

Wir sind Zeugen eines Moments, in dem maschinelle Intelligenz beginnt, sich sinnvoll in den kreativen Prozess einzubringen, und die Art und Weise, wie wir an Design und Problemlösungen in allen Disziplinen herangehen, grundlegend zu verändern.  

Beton und Holz in einem inspirierenden Zwiegespräch, Entwurf (2024).

Beton und Holz in einem inspirierenden Zwiegespräch, Entwurf (2024).

Beton und Holz in einem inspirierenden Zwiegespräch, Entwurf (2024).

Beton und Holz in einem inspirierenden Zwiegespräch, Entwurf (2024).

RM: Wie beeinflusst AI die Philosophie und die Arbeit von Studio Tim Fu (STF)?

TF: Während sich viele führende Büros derzeit an KI anpassen, wurde das Studio Tim Fu in der Überzeugung gegründet, dass KI eine revolutionäre Technologie ist. Das hat uns dazu veranlasst, unser Studio von Grund auf so zu konzipieren, dass wir ihr Potenzial voll ausschöpfen können. Wir haben eigene KI-Modelle entwickelt, die auf unserer einzigartigen Datenbank trainiert werden, und eigene Arbeitsabläufe geschaffen, welche die Möglichkeiten der KI optimieren. Unsere Philosophie betont eine sorgfältige Balance – während wir KI nutzen, um die Grenzen des Designs zu erweitern, behalten wir eine starke Kontrolle, um sicherzustellen, dass die menschlichen Werte und architektonischen Standards gewahrt bleiben. Dieser Ansatz versetzt uns in die Lage, neue Möglichkeiten zu erforschen und gleichzeitig die Integrität und Tiefe zu bewahren, welche die Architektur erfordert.

 

In der Zukunft werden Architekten wahrscheinlich eher wie Dirigenten agieren und komplexe Systeme orchestrieren, in denen KI, Robotik und menschliche Kreativität zusammenkommen.  

RM: Wie wird KI Ihrer Meinung nach die Rolle der Architekten in Zukunft verändern?

TF: Die Rolle des Architekten wandelt sich von einem reinen Gestalter zu einem Kurator von Möglichkeiten. KI wird viele Routineaufgaben automatisieren, sodass sich Architekten stärker auf kreative und strategische Entscheidungen konzentrieren können. Die menschliche Note bleibt jedoch unersetzlich – KI kann Entwürfe erstellen, aber es liegt an den Architekt:innen, ihnen Sinn und Zweck zu verleihen. In der Zukunft werden Architekten wahrscheinlich eher wie Dirigenten agieren und komplexe Systeme orchestrieren, in denen KI, Robotik und menschliche Kreativität zusammenkommen.

Ein Holzsteg führt über einen See hin zu einem futuristisch aussehenden Holzpavillon

Dynamische Holzkonstruktionen – «Parametric Pavilions» (2023).

Ein zirkuszeltartiger, filigraner Holzpavillon schwebt auf einer Wasseroberfläche

Dynamische Holzkonstruktionen – «Parametric Pavilions» (2023).

Ein Steg rechts im Bild führt zu einer wellenartigen Holzkonstruktion auf dem Wasser

Dynamische Holzkonstruktionen – «Parametric Pavilions» (2023).

Ein pilzartiger Holzpavillon schwebt auf einer Wasseroberfläche

Dynamische Holzkonstruktionen – «Parametric Pavilions» (2023).

RM: Welche ethischen Überlegungen sind mit dem Einsatz von KI in der Architektur verbunden?

TF: Die ethische Landschaft der KI in der Architektur ist komplex. Ein grosses Problem ist die Frage des Eigentums und des Urheberrechts – wem gehört ein von der KI erstellter Entwurf? Die aktuellen Gesetze sind noch nicht ganz ausgereift, aber es besteht die Gefahr, dass KI-generierte Entwürfe als gemeinfrei angesehen werden und die Designer:innen ihrer Rechte am geistigen Eigentum beraubt werden. Darüber hinaus wirft das Training von KI-Modellen Fragen über die Verwendung bestehender Designs und Stile auf und darüber, ob diese rechtlich oder ethisch vertretbar kopiert werden können. Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen ist es wichtig, dass wir uns für Gesetze einsetzen, die den Wert der menschlichen Kreativität im KI-Designprozess anerkennen.

RM: Wie sieht die Zukunft Ihrer Arbeit und des Bereichs der Architektur aus?

TF: Ich glaube, wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära in der Architektur, in der KI eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der gebauten Umwelt spielen wird. Unsere Arbeit wird weiterhin die Integration von KI erforschen, nicht nur als Werkzeug für die Gestaltung, sondern als Mittel, um architektonische Praktiken zu überdenken und neu zu definieren. Die Zukunft der Architektur liegt in der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen, wobei die Technologie unsere Fähigkeit verbessert, Räume zu schaffen, die reaktionsfähiger, nachhaltiger und sinnvoller sind.

www.timfu.com

Bild einer futuristischen Stadt mit diversen organisch geformten, begrünten Gebäuden und Brücken

Städtebauliche Vision von Tim Fu in Zusammenarbeit mit den Büros von Zaha Hadid und Bjarke Ingels.