«Eine gute Idee wird nie alt»

Atelier: Marco Dessí

Marco Dessí teilt sein Atelier in Wien mit einem Architekturbüro.

Marco Dessí teilt sein Atelier in Wien mit einem Architekturbüro.

Marco Dessís Atelier liegt in einer kleinen Gasse des zweiten Bezirks in Wien. Der Produktdesigner teilt die Räumlichkeiten mit einem Architekturbüro. Das ist ein bewusster Entscheid. Nicht nur nutzt er die Kompetenzen seiner Büropartner (etwa beim Modellbau), sondern er ist dadurch auch finanziell unabhängiger. Und das gemeinsam genutzte Büro schaffe eine Atmosphäre wie an der «Angewandten», erzählt Dessí bei unserem Besuch. Dort hat der gebürtige Südtiroler nach Umwegen Produktdesign studiert. Im Keller befindet sich eine Werkstatt. Das Arbeiten vor Ort ist für Dessí wichtig, denn man sehe häufig erst beim Prototyp, ob der Entwurf wirklich funktioniert. Namhafte Hersteller wie ­Thonet oder traditionsreiche Manufakturen wie Lobmeyr gehören zu seinen Kunden, aber der Designer experimentiert auch gern auf eigene Faust. Einzelne Objekte, die er in ­Eigenregie entworfen hat, lässt er in Wien herstellen. Dessí zeichnet gern, er hält seine Ideen tagebuchartig fest. Auf diesen Fundus kann er zurückgreifen.

Marco Dessí digitale Visualisierung

Bei einzelnen Schritten helfen digitale Visualisierungen…

Marco Dessí Handwerk gehört zum Entwurfsprozess

…aber auch Handwerk gehört zum Entwurfsprozess.

Du hast einen etwas ungewöhnlichen Werdegang. Wie kamst du zum Design?
Marco Dessí: Ich habe zuerst den Beruf des Zahntechnikers erlernt, deswegen kam ich auch aus Südtirol nach Wien. Nach Abschluss dieser Lehre habe ich dann Architekturmodelle gebaut, wodurch ich mit der Universität für angewandte Kunst in Wien in Kontakt kam. Dort habe ich schliesslich Design studiert. Meine Erstausbildung hat mir ein umfassendes Wissen bezüglich Materialien und Verarbeitungstechniken vermittelt – eine grosse Hilfe für das Gestalten von Produkten. In der Zahntechnik muss man unglaublich präzis vorgehen. Die Produktion vereint Handwerk und Technologie.

Du hast von Anfang an sowohl für Hersteller als auch in Eigenregie Produkte entwickelt. Kannst du etwas zu deiner Zusammenarbeit mit Wittmann sagen?
MD: Das traditionsreiche Unternehmen befand sich damals gerade in einem Umbruch und suchte nach jungen Gestaltern mit neuen Sichtweisen. Ich ging mit einer gewissen Unbekümmertheit an die Aufgabe. In dieser Haltung steckt aber meiner Meinung nach sehr viel Wertvolles. Wittmann hat sich für diesen Weg viel Zeit genommen.

Ob ein Entwurf von Marco Dessí funktioniert, zeigt sich erst am Modell.

Ob ein Entwurf funktioniert, zeigt sich erst am Modell.

Was ist das Besondere am Handwerk des ­Polsterns?
MD: Es ist sehr komplex und schwer zu erlernen. Man kann ohne Erfahrung sehr schlecht das Aussehen simulieren, sondern sieht vieles erst am Modell. Das erfordert viel Zeit. Die Herausforderung liegt im Zusammenspiel von Form, Stoff und Nahtbild. Man kann diese Elemente fast nicht voneinander trennen. Es gibt unterschiedliche Typen von Nähten, die je nach Form ganz anders ­wirken. An der Naht erkennt man auch die Qualität der Verarbeitung.

Was kennzeichnet andere Kooperationen?
MD: In jeder Zusammenarbeit geht es im Grunde um Austausch und darum, Gemeinsamkeiten zu finden sowie ein gewisses Vertrauen aufzubauen. Das grösste Erfolgserlebnis habe ich meist mit den Menschen, die das Produkt auch wirklich bauen. Lösungen machen ein Produkt gut, Probleme werden meist in den Werkstätten gelöst. Dazu braucht es Geduld. Hat man sich gegenseitig kennengelernt, entstehen aus guten Kollaborationen immer wieder neue Projekte.

Dessí tüftelt gerne in Eigenregie an Produkten.

Dessí tüftelt gerne in Eigenregie an Produkten.

Wie arbeitest du bei Projekten, die du in Eigenregie initiierst?
MD: Ich bin grundsätzlich ein sehr neugieriger Mensch. Ich beschäftige mich in ­irgendeiner Weise andauernd mit Design. Dadurch beobachte ich immer wieder Neues. Es gibt gewisse Reize, die lösen Entwurfsprozesse aus – da greife ich gern auf einen Ideenpool zurück und beginne zu gestalten. Eine gute Idee wird nie alt. Ich kann nicht immer zuordnen, wie und wann ein freies Projekt entsteht.

Du hast ja auch Innenarchitekturprojekte gemacht. Was interessiert dich am Thema Raum?
MD: Wir bauen und gestalten zurzeit grad zwei Hotelräume in einem ehemaligen Hamam. Mich interessiert, wie man diese Räume strukturieren und organisieren kann. Das hat etwas sehr Produkthaftes. Ich fühle mich bei dieser Aufgabe wohl.

Die Werkstatt des Designers befindet sich im Keller.

Wie wichtig ist für dich die übergeordnete ­Ebene von Design jenseits vom reinen Machen?
MD: Der Kontext ist wichtig, um die ­Gestaltungsprozesse steuern zu können. Mir persönlich liegt es am Herzen, Ideen aller am Produkt Beteiligten in den Entwurf einflies­sen zu lassen. Ich versuche, das Beste für das Produkt im Blick zu behalten. Ich glaube nicht an den Designer als Genie, sondern sehe ihn eher als Beobachter und Zuhörer. Ich glaube an Design, das Menschen berühren kann und ein Erlebnis im Alltag ist. Design kann Menschen helfen, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen – zumindest ­Facetten davon.  

Wie erlebst du Wien als Designstadt?
MD: In Wien gibt es viele Möglichkeiten, kreativ zu sein. Es gibt zurzeit viele Junge, die eine neue Energie bringen. Gerade in der Kunst oder in der Kulinarik passiert sehr viel. Es gibt immer mehr Überschneidungen zwischen den diversen Disziplinen – die Wiener Szene ist dafür bekannt, ihr eigenes Süppchen zu kochen!

Ich glaube nicht an den Designer als Genie, sondern sehe ihn eher als Beobachter und Zuhörer. 

Auch deine Heimat Südtirol scheint ein guter Humus für Kreativität zu sein.
MD: Ja, es gibt eine Art Grundkreativität. Vielleicht hat das mit der ländlichen Region zu tun, mit dem Überlebenstrieb und der Notwendigkeit, Lösungen zu finden.

Welche Disziplinen inspirieren dich?
MD: Sicherlich Design. Aber auch aus der Kunst kommen viele Tendenzen, die mich beeinflussen, das finde ich bereichernd. Ich versuche, mich von der künstlerischen Energie anstecken zu lassen. Manchmal brauche ich Inspiration, die eine gewisse Form verweigert. Die finde ich eher in der bildenden Kunst.

Was bringt die Zukunft?
MD: Ich bin momentan mit einem deutschen Hersteller in Kontakt, mit dem ich gern ein Wunschprojekt umsetzen möchte. Ich arbeite gerade an verschiedenen Ideen mit Glas und Licht. Nach erfolgreicher Markteinführung erweitern wir den Stuhl 520 mit Thonet zu einer kompletten ­Kol­lektion. Mir gefällt es immer besser, in ­Kollektionen zu denken, das hat Potenzial.

www.marcodessi.com

«Orbit»: Ein schlichtes Tafelservice für die historische Wiener Porzellanmanufaktur Augarten.

«Linus»: Der kleine Stuhl für den französischen Brand La Manufacture passt überall.

«The Knight»: Das modulare Leuchtensystem entwarf der Designer für die Wiener Glasmanufaktur Lobmeyr.

«Bristol»: Mit dem Wiener Hersteller Wittmann hat Marco Dessí schon mehrfach zusammengearbeitet, so zum Beispiel bei diesen kombinierbaren Tischen.

Verwandte Artikel