Designmöbel aus Textilien

Upcycling mit Stil

Wickie Meier Engström befasst sich seit Jahren mit der Entwicklung sozialbewusster, nachhaltiger Designprojekte. Sie erstellte Nachhaltigkeitskonzepte für Firmen wie UNICEF, ist Mitbegründerin der dänischen Nonprofit-Organisation INDEX: Design to Improve Life und unterrichtete als Associate Professor für nachhaltige Designstrategien an der Esmod in Berlin. Seit 2015 ist sie für Really als CEO aktiv.

Täglich sortieren Recycler tonnenweise Textilien aus. Nicht, weil sie fehlerhaft sind, sondern weil sie nicht gebraucht werden. Die Dänen Wickie Meier Engström und Klaus Samsøe, zwei Pragmatiker aus der Modebranche mit Erfahrung in der Entwicklung nachhaltiger Strategien, fassten bei einer Tasse Kaffee den Entschluss, etwas zu tun.

 

Wie entstand die Idee, einen Werkstoff aus Alttextilien zu entwickeln?
Wickie Meier Engström:
Wir wollten etwas schaffen, das eine längere Lebensspanne hat als Textilien. Dem die Leute eine höhere Wertigkeit beimessen. Mit dem derzeitigen technischen Stand ist Upcycling im Textilbereich unmöglich. Es entstehen schwache Fasern, deren Produktion dennoch eine Menge Energie und Wasser verbraucht. Das macht keinen Sinn. Wir haben dann überlegt, welcher Bereich dieselbe Identi­fikation ermöglicht wie Mode. Wir denken, Möbel tun das auf ähnliche Weise, werden aber viel sorgfältiger konsumiert als Kleider. Man investiert wesentlich mehr Zeit in die Suche nach einem neuen Sofa, und auch mehr Geld. Auch dies ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit: Mit welcher Sorgfalt wir eine Wahl treffen. Günstig erworbenen Spontankäufen messen wir oft keinen echten Wert bei, weil die Sachen so billig sind.

Wie gingen Sie den Entwicklungsprozess an?
WME: Erst mussten wir entscheiden, welche Qualitäten wir verwenden möchten. Wir wollten mit Naturfasern arbeiten, auch weil ihre Herstellung die Umwelt bereits stark belastet hat. Baumwolle durch den gros­sen Wasser- und Pestizideinsatz, Wolle durch seine CO2-Bilanz. Schafe stossen wie Kühe grosse Mengen Methan aus. Da sowohl Wolle als auch Baumwolle stark auf Wasser reagieren, bot sich ein trockener Verarbeitungsprozess an. Wir suchten nach einem Rezept, wo die Länge der Fasern keine Rolle spielen würde, die Lösung sogar in möglichst kurzen Fasern liegen würde.

Wo lagen die Herausforderungen?
WME: Es war schwierig, jemanden zu finden, der mit Abfall arbeiten möchte. Dass man damit Geld verdienen kann, ist noch nicht in den Köpfen der Leute angekommen. Wir fanden dann glücklicherweise ein R&D Equipment in der Nähe von Ebeltoft, wo Kvadrats Head Office liegt. Da wir keine eigene Produktion und keine grosse Industrie im Rücken hatten, mussten wir den Prozess so einfach wie möglich halten. Wir mahlten die Textilien zu staubartigen Fasern, mischten als Bindemittel thermoaktives Polypropylen darunter und pressten die Mischung zu Boards oder Filzmatten. Dieser Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen. 

Ausrangierte Textilien werden nach Farbe und Qualität sortiert und dann geschreddert. 

Anschliessend werden sie zu staubartigen Fasern gemahlen, denen als Bindematerial thermoaktives Polypropylen beigemischt wird.

Die Fasern bilden einen weissen Baumwollkern und eine Hülle, welche in Farbe und Material variieren kann.

Durch den Druck einer Hydraulikpresse entstehen dichte Filzmatten oder solide Platten. 

Der Markt bestimmt die Farbpalette: Der Anteil aussortierter Textilien in weiss, crème, denim und anthrazyt ist hoch.

Wie viel Natur steckt in den Really-Produkten?
WME:
Baumwolle und auch Wolle werden oft mit synthetischen Fasern wie Polyester gestreckt, weil die Nachfrage zu gross ist. Wir akzeptieren maximal 40% Synthetik im Rohmaterial. Denn das widerspiegelt die Realität, wir müssen mit dem arbeiten, was da ist. Diese Ressourcen sollen so lange wie möglich im Loop der Wiederverwertbarkeit bleiben. Wir verändern nichts, wenn wir auf 100% reine Biobaumwolle warten. Schon im Rohmaterial sind daher diverse Chemikalien vorhanden, die auf die Textilproduktion zurückzuführen sind. In Tests schneiden wir aber regelmässig sehr gut ab, und wir arbeiten ständig daran, uns weiter zu verbessern. Ich glaube an Transparenz. Besser, man kommuniziert ehrlich. Wir haben für das Material auch keine Zertifizierung beantragt, da wir es zurzeit nicht für notwendig halten. Ich habe schon oft mit Zertifikaten gearbeitet, doch manchmal werden sie bloss als eine Art Ruhekissen benutzt. Sie geben das Gefühl, über nichts mehr nachdenken zu müssen, anstatt zu grübeln, wie man etwa den Energieverbrauch weiter senken könnte. 

Entwickelt auch die Modeindustrie ein Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit?
WME: Viele Modehäuser betreiben eine Art Greenwashing, indem sie gebrauchte Kleider zurücknehmen. Meist werden diese später in andere Märkte weiterverkauft, was der lokalen Industrie schadet. Zurzeit arbeiten wir mit einem grossen Player der Modeindustrie, mit dem wir 2019 ein Projekt umsetzen werden. Wir kommunizierten von Anfang an, welche Stoffe in Really enthalten sind, hatten damals aber noch nicht so exakte Testergebnisse wie heute. Wir mussten dann alles bis ins Detail aufschlüsseln, obwohl die Substanzen der Firma wohlbekannt sind – schliesslich arbeitet sie damit. Viele Fashion Player wollen ein grünes Image, sehen aber ihre Verantwortung nicht. Mit Really versuchen wir, etwas zu verändern, doch wir sind nur ein kleiner Teil des Systems. Natürlich ist auch die lange, intransparente Produktionskette ein Problem. Ich denke aber schon, dass die Industrie anfängt, sich zu verändern. Dass es so langsam vorwärts geht, liegt auch am Businessmodell. Alles muss billig sein, und zwar über die ganze Kette von Zulieferern hinweg. So entsteht einfach nichts Gutes.

Wie funktioniert bei Really der Kreislauf der Wiederverwertung?
WME: Damit wir mit jemandem zusammenarbeiten können, sind wir auf grosse Volumen angewiesen. Die Textilien müssen bereits nach Farbe und Qualität sortiert sein, ehe wir ins Spiel kommen. Diese Arbeit erledigt ein Recycler, wir können das nicht selber machen. Wir haben weder die Möglichkeit dazu, noch die Kapazität. Wie gesagt, wir sind nur ein kleiner Teil der Kette. Dasselbe gilt für die Rücknahme der Platten: Wenn ein Möbelhersteller mit unserem Material arbeitet, übernimmt er den Kontakt mit dem Endkunden. Er muss eine gewisse Quantität sammeln, bis wir die Platten zurücknehmen und wiederverwerten können. Ob das Material zuvor mit Holzleim verarbeitet wurde, spielt dabei keine Rolle. Die Klebstoffmenge ist so gering, dass sie nicht ins Gewicht fällt. Ist es anderweitig beschichtet worden, schmirgeln wir das einfach weg. 

Was hat sich verändert, seit Really vor drei Jahren vom Textilhersteller Kvadrat gekauft wurde?
WME:
Es hat Zeit gebraucht, sich auf­einander einzuspielen, doch mit Kvadrat konnten wir eine solide Basis schaffen. Wir sind wie die Spitze eines Eisbergs: Im R&D sind wir nur zu fünft. Doch Kvadrat ist superstark im Marketing und im Sales. Davon profitieren wir. Ich denke, dieses Jahr haben wir einen Wendepunkt passiert; wir sind sichtbar geworden. Firmen rufen uns an und möchten Restbestände abgeben. Da müssen wir ablehnen, wir sind keine Recycler. Ja, Really­ funktioniert zirkulär, doch wir ­können nur für unseren Teil des Systems Verantwortung übernehmen. Kürzlich sind wir mit Really umgezogen, nun haben wir mehr Platz, eine bessere Umgebung und eine grössere Produktion. Es gibt auch Pläne für eine neues Upcycling-Zentrum, wo neben dem textilen auch andere Bereiche involviert sein werden – etwa, indem Seegras als Isolationsmaterial genutzt wird.

Wie überzeugt man DesignerInnen davon, mit neuen Werkstoffen wie diesen zu arbeiten?
WME:
Wir müssen zeigen, was das Material kann. Dieses Ziel hatten die Kollaborationen mit verschiedenen Designern, die wir 2018 in Milano präsentierten. Das Solid Board ist mit Hartholz vergleichbar, auch in der Bearbeitung. Obwohl es dünn ist, ist es extrem belastbar. Zudem lässt es sich formpressen und bei entsprechender Bearbeitung auch biegen. Der Acoustic Felt ist ausserordentlich schallabsorbierend. Im Moment ist der Preis noch relativ hoch, weil er abhängig vom Produktionsvolumen ist. Das wird sich hoffentlich bald ändern. Wir testen verschiedene Oberflächen und versuchen, das Material in der Bearbeitung noch einfacher zu machen. Auch völlig neue Herstellungsmethoden werden geprüft. Da wir den hohen Textilanteil halten wollen, ist das nicht unkompliziert. Es ist wichtig, das Textile im Griff zu spüren.

Am Salone di Mobile 2018 präsentierte Really mit der Ausstellung «Circular by Design» Arbeiten verschiedener Designer. Benjamin Hubert spielte mit der Idee der Transformation: In geschlossenem Zustand bildet «Shift» eine Akustikpaneel...

...lässt sich aber durch wenige Handgriffe aufklappen und als Regal benutzen.

Der Architekt und Designer Jo Nagasaka experimentierte mit der Oberflächenwirkung.

Durch Schleifen, Färben, Bürsten und Bleichen hob er die Unterschiede zwischen den Woll- und Baumwolloberflächen hervor.

Der Wandbehang «Acoustic Fur» von Christien Meindertsma ist inspiriert vom Zyklus des Scherens und Nachwachsens von Schafwolle. Die Wollstreifen können auf eine magnetische Tapete angebracht werden und dämpfen bei zunehmender Dichte den Schall. 

«Bibliotèque» von Claesson Koivisto Rune geht auf eine Studie des schwedischen Design- und Architekturbüros zurück, die sich mit der Struktur von Wolkenkratzern aus dem 20. Jahrhunderts auseinandersetzt.

Jonathan Olivares' «Solid Textile Screens» zeigen die Gestaltungsmöglichkeiten des Materials, das durch CNC-Ausfräsungen flexibel gebogen werden kann.

Die einzelnen Elemente werden durch Reissverschlüsse aneinander befestigt, so dass der Paravan beliebig verlängert und arrangiert werden kann.

«Fine Cut» des Londoner Designstudios Raw Edges zeigt den gestalterischen Spielraum der Denim-Oberfläche. 

Die Designer entdeckten während ihrer Experimentierphase, wie ein weicher Übergang zwischen den Farben generiert werden kann.

Mit der fliessenden, wellenförmigen Form des «Textile Cupboards» erinnern die Designerinnen von Front an die textile Herkunft des Materials.