Leben mit der Witterung

Vom verlassenen Hof zur Sommerresidenz

Esszimmer mit offenem Kamin in alten Steinmauern

Eine Bodenplatte aus Sichtbeton befestigt das Sommerhaus, das in eine zweigeschossige Wohnhalle um­funktioniert wurde.

Alle Dörfer im Süd­schweizer Onsernonetal liegen auf der Sonnen­seite, auf terrassiertem Gelände, umgeben von Wald, erschlossen von einer einzigen Strasse. Gegenüber, am Nord­hang, wächst ebenfalls dichter Wald. Tief unten in der Schlucht rauscht der Isorno. Die Ursprünglichkeit und die Abgeschiedenheit lockten bereits früher Aussteiger und Lite­raten her – Max Frisch lebte hier – und zieht heute Städter:innen an, wie die vierköpfige Familie, die nahe dem Dorf Mosogno ihren Sehnsuchtsort fand.

Sind die Kurven und engen Passagen der Strasse gemeistert, warten noch zehn Minuten Fussweg den Hang hinab zu einem Gebäude-­Ensemble, das seit dem 18. Jahrhundert immer wieder erweitert wurde, wie im Tal üblich mit regionalem Bruchstein. Dahinter fällt das Gelände steil ab zum Fluss. Der Komplex hatte lange leer gestanden. Die neu­en Besitzer:innen begannen mit dem Ausräumen des zurückgelassenen Hausrats, und die Ar­chitekten vom Basler Büro Buchner Bründler loteten aus, wie man die Bauten wieder be­wohnbar machen könnte.

altes Gebäude in grünem Tal

Das Gebäude-Ensemble liegt auf einer Geländeterrasse unterhalb von Mosogno im Tessiner Onsernonetal.

Aufgrund des undichten Steindachs er­wiesen sich im Haupthaus alle Holzelemente wie Balkenlagen, Bretterböden und die vor­gelagerte Laube als baufällig. Immerhin wa­ren die Bruchsteinmauern weitgehend intakt. Das Haupthaus wieder herzurichten, wäre äusserst aufwendig und finanziell kaum tragbar gewesen. Doch der Bau und seine Geschichte sind essenziell für das Ensemble. Daher machten die Architekten ihn zum Sommerhaus: Sie brachen die Zwischen­decken und Innenwände heraus und schufen so eine zweigeschossige Halle. An den Wän­den bleiben die früheren Nutzungen und Strukturen ablesbar. In der Mitte ist ein Wandfragment mit einem Kamin verblieben, gehalten von einem Stahlrahmen, der auch die Hauswände aussteift.

Weder Mauern noch verwitterte oder fehlende Fenster und Türen wurden ausgebessert oder ersetzt; lediglich der Boden wurde mit einer neuen Betonplatte befestigt. Ein Feuerungsboden und weitere neue Elemente sind ebenfalls aus Sichtbeton. Überdeckt wird die Sommerhalle von einem Dach aus gestrichenem Leichtmetallblech auf einer rohen Stahl-Fachwerkkonstruktion – ein Bruch mit der örtlichen Tradition des mit Granitplatten gedeckten Daches. Wie ein temporäres Schutzdach mutet es an, und tatsächlich schützt das Dach nur vor der Witterung. Geräusche oder Luft dringen ungehindert ins Innere.

Wohnraum in alten Steinmauern mit Betontreppe

Eine Treppe aus Sichtbeton führt hinaus in die üppig blühende Natur des Tals.

Offener Kamin aus Stahl in alten Steinmauern

Ein Rahmen aus Stahlträgern hält ein altes Mauerfragment mit Kamin und steift gleichzeitig die Aussenmauern aus.

Der kleinere Annexbau war in einem besseren Zustand als das Haupthaus; hier konnten die Balkenlagen erhalten werden, einige Bauteile wurden rekonstruiert. Die Architekten fügten einen gedämmten Holzkörper ein: einen ganzjährig nutzbaren Raum von 19 Quadratmetern Fläche, in dem geschlafen, gegessen und bei schlechtem Wetter ausgeharrt werden kann. Ein Holz­herd dient zum Kochen und Heizen. Die Fenster sind klein, das Tannenholz ist dun­kel lasiert – die «Blackbox» verweist auf die russgeschwärzten Wohnküchen von einst. Zwischen Annex und Haupthaus liegt ein weiterer kleiner Nebenbau. Dessen Holzbalken waren ebenfalls morsch; nun spannt eine Betonkuppel über den zweigeschossigen Raum. In der in den Boden eingelassenen Wanne kann man das spezielle Raumgefühl sowie ein warmes Bad geniessen – voraus­gesetzt, man hat den Holzofen rechtzeitig eine Stunde vorher eingefeuert.

Das Annex-Gebäude beherbergt eine kleine Küche sowie einen gemütlichen Wohn- und Schlafbereich

Im Gebäudeteil mit Betonkuppel lädt eine schlichte, in den Boden eingelassene Wanne zum Baden ein.

Zusammengehalten wird das Ensemble von einer neuen Terrasse respektive Plaza, wie die Architekten sie ob ihrer Dimensionen nennen. «Wir haben hier eher einen Ort ge­schaffen als ein Haus», sagt der Architekt Andreas Bründler. Die Plaza ist Aufenthalts­ und Erschliessungsbereich, zudem sichert sie den Komplex und markiert «den Übergang von der architektonisch kultivierten Zone zum Wildwuchs», so der Architekt. Lokale Handwerker haben die Stützmauern in tra­ditioneller Trockenbautechnnik erstellt. Der würdevolle Umgang mit der Substanz und die Sicherung des Kulturguts waren den Architekten ein Anliegen.

«Wir haben hier eher einen Ort ge­schaffen als ein Haus»

«Es ging um den Schutz vor dem Verfall und nicht um eine Modernisierung», sagen sie. Dazu passt, dass nur ein kleiner Teil ganzjährig bewohnbar ist. Durch die wohldosierten Eingriffe wurde die architektonische Identität gewahrt, und vielleicht birgt der Verzicht auf Annehmlich­keiten sogar einen Mehrwert? Das fragten sich die Architekten. Es gibt keinen Komfort auf Knopfdruck; die Jahreszeit, das Wetter und auch das Haus bestimmen den Tages­ablauf mit – und die Bewohner:innen neh­men tatsächlich eine Auszeit von ihrem städ­tischen Lifestyle.