In der Okey AG in Seebach wurden früher Spezialmaschinen und Zahnräder hergestellt, seit 2021 befinden sich in der ehemaligen Werkhalle verschiedene Ateliers. Den Namen Okey hat die als Verein organisierte Gemeinschaft beibehalten. Unter den Mietern ist das Duo «Studio Eidola», bestehend aus der Produktdesignerin Denizay Apusoglu und dem Architekten Jonas Kissling. Dass die beiden etwas Spezielles machen, fällt gleich beim Betreten der Räumlichkeiten auf. Da stehen Kübel mit Sand, in den Regalen stapeln sich Säcke mit Salz. Ungewöhnlich sind auch die ziegelsteinartigen Formen und die anderen Objekte darin. Ihre Gemeinsamkeit ist die besondere Materialität. Mit ihrer interdisziplinären Praxis lenkt Studio Eidola unsere Aufmerksamkeit auf den Ursprung der Dingwelt. Die Objekte, die aus der experimentellen Recherche des Duos hervorgehen, zeigen ganz offen, woraus sie bestehen. Es geht den beiden Forschenden auch darum, Transformationsprozesse sichtbar zu machen. In diesem Sinne ist ihre Arbeit eine Hommage an unsere Erde: Materiallieferantin für alles, was wir haben und sind.
Was ist euer beruflicher Hintergrund?
Denizay Apusoglu: Ich bin Produktdesignerin, habe aber zunächst ein Bachelorstudium in Industrial Engineering absolviert. Ich stamme aus der Türkei und ging für mein Masterstudium nach Estland. Vor fünf Jahren bekam ich eine Stelle am Prototyping Lab der ETH Zürich, wo ich Jonas kennenlernte. Zurzeit arbeite ich Teilzeit als Produktdesignerin für Geberit.
Jonas Kissling: Es war früh klar, dass mich das Bauwesen interessierte. Ich studierte zuerst Architektur an der Berner Fachhochschule in Burgdorf. Den Master habe ich an der ETH Zürich gemacht. Denizay und ich entdeckten dort unser gemeinsames Interesse für Materialforschung.
Inwiefern haben eure Ursprungsdisziplinen einen Einfluss auf diesen Ansatz?
DA: Als Designerin war es für mich immer wichtig, mit den Händen zu arbeiten und nahe am Material zu bleiben. Dieser Aspekt ist auch bei Studio Eidola zentral. Wir kommen aus zwei Disziplinen, die durch unterschiedliche Massstäblichkeiten geprägt sind. Wir kombinieren diese Ansätze, das öffnet die Perspektiven und gibt uns künstlerische Freiheiten. Wir wollen nicht genau definieren, es geht uns primär ums Erforschen.
JK: Vom Denken her war es für mich kein grosser Schritt von der Architektur zu unserer Arbeit. Was ich an der Architektur mag, ist die Vielseitigkeit der Themen, die in Theorie und Praxis bearbeitet werden. Das Erlernte hilft uns bei der technischen Umsetzung.
«Es geht um einen bewussteren Umgang mit Materialien.»
Materialien bilden die Basis für eure Praxis. Wo findet ihr diese?
DA: Meistens passiert das zufällig. Das erste Mal stiessen wir während einer Wanderung in Graubünden auf ein Kieswaschschlammbecken, das mit tonähnlichem Material gefüllt war. Der Ort faszinierte uns sofort. Wir fanden heraus, dass er zu einem Werk in der Nähe gehört und fragten, ob wir Material von dort haben könnten.
JK: Ein weiteres Mal fielen uns die besonderen Farben des Erosionsmaterials auf. Wir entdeckten im Werk andere Rohstoffe; auch da war der Fund reiner Zufall und das lenkte das Projekt in eine neue Richtung. Wir sammeln Material und wissen noch nicht, was daraus wird.
DA: Wir arbeiten mit Abfallmaterial und suchen auch gezielt danach. Wir wissen, dass die meisten Kieswerke solches haben.
Geht es mehr um die Transformation von Materie als um die Idee, konkrete Objekte daraus zu machen?
DA: Ja, zuerst stellen wir uns die Frage, was wir mit dem Material machen können, was seine Eigenschaften sind und wie es sich verhält; etwa, wenn man es erhitzt oder es mit anderen Materialien mischt. Wir recherchieren auch über geologische Themen. Aber in erster Linie probieren wir einfach aus, ohne bestimmte Vorstellungen vom Ergebnis zu haben.
JK: Es geht uns um einen Blick, der nicht wertet. Wir möchten herausfinden, wie die Materialien auf verschiedene Situationen reagieren. Werden sie dabei locker, flüssig oder verfestigen sie sich? Das bringt uns auf neue Ideen. Die Richtung steht nicht von Anfang an fest. Beim Machen lernen wir viel und daraus wachsen die Dinge dann weiter.
Dass ihr sagt, Material «verhalte» sich, bringt mich auf eine philosophische Frage. Inspirieren euch Strömungen wie der Neue Materialismus?
DA: Ja, aber ohne, dass wir beim Machen darüber nachdenken. Es ist unsere Art den Planeten, auf dem wir leben, zu verstehen. Unsere Körper bestehen schliesslich auch aus Mineralien, es gibt also keine Trennung. In der Natur ist alles in konstanter Transformation. Mit unserer Arbeit möchten wir an die Anfänge zurückkehren und sehen, was wir daraus erschaffen können. Es geht um einen bewussteren Umgang mit Materialien.
JK: Es gibt sicher philosophische Aspekte in diesem Prozess. Aber es geht zunächst um eine Interaktion zwischen Menschen und Mineralien, um eine intuitive Erfahrung, die wir machen, wenn wir auf Materialien stossen. Anschliessend versuchen wir, diese Erfahrung zu kontextualisieren und zu verstehen. Wir generieren dadurch neue Werte.
Eure Arbeit wirft auch einen neuen Blick auf das Thema Ressourcen.
JK: In früheren Kulturen verwendete man, was da war. Die Industrialisierung veränderte unsere Beziehung zu Materialien vollkommen. Wir haben den Bezug dazu verloren. Wenn wir mit rohen Materialien arbeiten, kreieren wir eine neue Sprache für ihre physische Präsenz. Wir verbinden die Geschichten dieser Abfallmaterialien zu einer neuen Ästhetik. Unsere Objekte sind eine Art Medium.
DA: Unsere Arbeiten sollen einen Hinweis darauf geben, woher die Materialien kommen, aus denen sie bestehen. Zugleich sind die Arbeiten neu, weil sie das Produkt einer Erforschung sind. Diese Prozesse zu dokumentieren, ist uns sehr wichtig.
Seht ihr ein Potenzial, diese Erkenntnisse auch in der Architektur anzuwenden?
DA: Ja, denn wir brauchen in der Bauindustrie ökologischere Lösungen.
Habt ihr ein Traumprojekt?
DA: Wir waren letzten März in Ägypten im Rahmen einer kurzen Recherchereise von Pro Helvetia und haben dort etwas vor Ort entwickelt. So etwas würden wir gerne wiederholen und etwas Grösseres realisieren.
JK: Wir hätten gerne mehr Zeit, um unsere Arbeit zu vertiefen.