Die Häuser am Sihlquai 125–133 gehören zu einer rar werdenden Gattung in Zürich. Die alten Industriegebäude beherbergen Ateliers von Künstlern und Designern, Startups, die Autonome Schule sowie die Jungen Journalisten, Bandräume, ein Ballettstudio, Kunststif-tungen und zwei Theater – bezahlbarer Freiraum für viele, zumindest bis 2024. Dann entscheidet der Kanton, ob dem sogenannten «Nest für kreative Köpfe» nochmals eine Verlängerung gewährt wird. Der Sihlquai gilt als Entwicklungsgebiet, irgendwann werden die Ateliers der geplanten Bildungsmeile weichen müssen. Auch Mara Tschudis Studio Surface Service in der Hausnummer 125 ist Freiraum auf Zeit. Schon 2018 stand auf der Kippe, ob die Laufzeit nochmals um vier Jahre verlängert werden würde. Tschudi trug aktiv dazu bei, dass es – zumindest vorläuftg – weitergeht. Der Besitzer hatte eine Ausschreibung zur Gestaltung der Fassade platziert, Studio Surface Service erhielt den Zuschlag.
Mara, wie gingst du bei dem Projekt vor?
Mara Tschudi: Ich hatte völlig freie Hand und genoss es sehr, einmal so gross arbeiten zu können. Das Muster projizierte ich nachts an die Wand und übertrug die Formen von einem Gerüst aus auf die Fassade. Gemalt habe ich tagsüber, dabei haben mir viele Freunde geholfen. Die Stimmung war unglaublich schön!
Als Textildesignerin hast du dich nicht immer in so grossen Dimensionen bewegt. Wie kamst du zum Stoff?
MT: Nach einer Grundausbildung als Gestalterin besuchte ich den Open Day des Studiengangs an der Hochschule Luzern. Ich wusste sofort, das ist es. Intuitives Arbeiten ist für mich extrem wichtig, darum passte Textildesign so gut. 2009 habe ich mein Studium abgeschlossen.
Wie ging es danach weiter?
MT: Trotz Finanzkrise fand ich sofort einen Job. Ich arbeitete für eine Agentur mit Kunden aus der Mode, darunter viele Active- und Sportswear Brands. Von morgens bis abends entwickelte ich Patterns und Farbkonzepte, dabei lernte ich viel. Das Entwerfen machte mir grossen Spass, doch nach ein paar Jahren wollte ich mich weiterentwickeln und endlich meinen Stil fahren. Und natürlich hoffte ich, dass die Leute darauf reagieren würden.
Wie war der Einstieg in die Selbstständigkeit?
MT: Einfach war der Start nicht. Ich hatte einen Job auf sicher, daneben machte ich Akquise. Parallel dazu lancierte ich das Projekt «A Pattern a Week»: Jede Woche entwickelte ich ein Muster und postete es auf Instagram. Dabei gab ich mich völlig der Freude an der Gestaltung hin und schuf ein Archiv aus Farben und Formen, von dem ich bis heute zehre. Die Resonanz war gut, es kamen erste Aufträge. Zum Glück, denn einen Plan B hatte ich nicht. Für mich gab es immer bloss einen Weg. Diese Bedingungslosigkeit ist manchmal anstrengend, dafür zweifle ich selten und bin sehr geradlinig. Das widerspiegelt sich in meiner Arbeitsumgebung: Alles muss akkurat an seinem Platz sein. Dieses Gerüst ermöglicht mir, kreativ sein zu können. Ich arbeite aus dem Moment heraus, da muss die Umgebung stimmen.
Ein starker Kontrast, einerseits Ordnung und Struktur, andererseits Intuition.
MT: Ja, ich arbeite nicht nach Konzept, sondern nach Gefühl. Die Lust an Farben, Linien und Formen treibt mich an; ein nie ermüdendes Interesse, damit zu spielen. Dabei kann ich den Kopf völlig ausschalten. Meine Arbeit entsteht im Machen, aus dem Bauch heraus. Der sagt mir, welche Farben passen, wann die Komposition stimmt. Auf mein Bauchgefühl kann ich mich voll verlassen.
«Ich zweifle selten und bin sehr geradlinig.»
Wie sehr bist du in der textilen Materie heute noch verankert?
MT: Seit 2009 hat sich mein Schaffen stark verändert und vom Textilen gelöst. Aber ich arbeite noch immer gern für Fashion Brands und bin gut vernetzt in der Branche. Die meisten führen zwar eigene Designabteilungen, wollen aber zwischendurch einen Blick von aussen.
Führt dich diese Verschiebung von der Fläche hin zum Raum?
MT: Absolut! Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, aus meinen Bildern Teppiche mit unterschiedlichen Techniken, Materialien und Florhöhen zu entwickeln. Es reizt mich, von der Fläche in die dritte Dimension zu gehen und zu sehen, wie sich dadurch die Eigenschaften der Materialien verändern. Ich mag auch die Öffnung des Formats. Gerne würde ich richtig gross arbeiten, etwa im architektonischen Kontext. Auch, weil dabei Farbe eine so wichtige Rolle spielt.
Was bedeutet Farbe für dich?
MT: Sie ist für meine Arbeit essenziell wichtig. Schöne Farbkompositionen gibt es in endloser Abfolge, manche wirken beinahe magisch auf mich. Einige begleiten mich schon sehr lange – etwa Rosa, Pink oder ein gewisses Blau – andere kamen nach und nach dazu. 2019 habe ich mit dem Gestalter Sebastian Marbacher die Möbelserie «Extra-Ordinary» entwickelt. Dabei setzte ich mich nochmals intensiver damit auseinander.
Was war der Grund dafür?
MT: Sebastian hat als Möbeldesigner die Form beigetragen, ich die Oberflächengestaltung. Die MDF-Platten wurden collagenartig mit Papier tapeziert. Anders als bei vergangenen Projekten konnte ich digital nicht nachbessern, so wurde jede Farbnuance relevant. Ich habe lange nach dem Papier mit der perfekten Haptik und Farbpalette gesucht. Einige Unikate wurden im Januar 2020 in der Galerie Okro in Chur gezeigt.
Wie kam diese Ausstellung zustande?
MT: Initiiert haben das Projekt Sebastian und ich, wir hatten einfach Lust, unsere eigene Farben- und Formenwelt zu erschaffen. Der Galerist Heinz Caflisch machte irgendwann einen Atelierbesuch und war sofort begeistert. In Zusammenarbeit mit ihm entstand daraus eine ganze Kollektion. Von der Idee bis hin zur Ausstellung haben wir etwa ein Jahr daran gearbeitet.
Woran arbeitest du gerade, was bringt die Zukunft?
MT: Neu bin ich Teil des Artist Collective von ZigZagZürich, eine erste Arbeit ist gerade in den Verkauf gekommen. Ausserdem kooperiere ich mit Monocle, aber da kann ich noch nicht mehr verraten. Und ich habe ein Foulard entworfen, das ich bald über meine Website anbieten werde. Die Textilbranche ist von Corona stark betroffen, natürlich spüre ich den Auftragsrückgang. Doch ich versuche, das Beste daraus zu machen und nutze die Zeit für eigene Projekte.
Mehr über die Arbeiten von Mara Tschudi erfahren Sie unter: www.surface-service.com