«Design kann helfen, eine bessere Welt zu gestalten»

Interview mit Patrizia Moroso

Kreativ-Direktorin und Trendsetterin Patrizia Moroso.

Kreativ-Direktorin und Trendsetterin Patrizia Moroso.

Patrizia Moroso, welches Sofa materialisiert die aktuelle Situation am besten?
PM:
«Bikini Island»! So heisst eines unserer modularen Systeme. Es lädt zu allen möglichen Nutzungen auf kleinem Raum ein. Zwischen die harten und weichen Sitzelemente lassen sich Daybed, Raumteiler, Ablageflächen schieben. Man kann auf der Insel verschiedene Perspektiven einnehmen.

Vorstellungskraft ist wichtig, wenn die grosse Feier des Designs um ein Jahr verschoben wird!  
PM: Diese internationale Sache, die Pandemie, kam für viele überraschend. Seit dem 12. März stehen in Italien alle Produktionen still. Der Shutdown wird bis 4. Mai dauern. Dabei hätten wir an der Messe Lösungen zeigen wollen. Nachhaltigkeit ist das Thema der Zeit.

Was wäre die Krone der Nachhaltigkeit?
PM: Patricia Urquiola konzipierte für uns einen wunderschönen Stand. Er sah Materialien von Kvadrat vor. Das dänische Label brachte schon länger ein Verfahren auf den Markt, das alte Textilien ohne Chemikalien in neue Gewebe umwandelt. Wir wollten zeigen, dass «Really» auch industriell eingesetzt werden kann. Nach wie vor verarbeitet die Industrie nämlich Primärmaterialien. Doch für Luxusgüter sind auch Polyester, Wolle, PET aus Kreisläufen möglich. Unsere Message: Man kann interessante Objekte aus ökologischen Materialien schaffen – die sogar zu neuartigen Formen anregen.

Zu welchen?
PM: 
Mit der spanischen Designerin entwickeln wir einen Prototypen: eine Couch mit vielen Knöpfen, Reissverschlüssen, Anzieh- respektive Umbaumöglichkeiten. Das System soll in jeder Hinsicht nachhaltig werden. Stoff, Polsterung, Struktur: jede Komponente muss herausgenommen, zurückgebaut und recycelt werden können.

«Bikini» ist ein modulares Inselsofa entworfen von Designer Werner Aisslinger.

Die leicht zu arrangierende Sofa-Landschaft lädt ein, die beste Komposition je nach verfügbarem Platz und Aktivitäten zu wählen.

«Bikini» umfasst verschiedene weiche Komponenten in 3 verschiedenen Höhen – vom niedrigen Tagesbett bis hin zu runden Sitzen oder freistehenden Stücken.

Zusätzlich können kleine Container und Couchtische integriert werden. Metallrahmen mit Topfhaltern für Pflanzen, kleine Regale oder Vorhänge bieten verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Zonen rund um die Sofainsel zu schaffen.

Einfachheit, Qualität und die Kunst der «Collage» charakterisieren die «Bikini»-Insel, die Werner Aisslinger für Moroso kreiert hat.

Woraus besteht die Füllung/Polsterung?
PM:
Leider ist das Hauptmaterial von Polstermöbeln auf dem internationalen Markt noch immer nicht das bestmöglichste. Aber wir betreiben intensive Recherchen für Polyurethan-Alternativen. Ich wünsche mir, dass die Materialforschung weltweit als Appell verstanden wird. Denn die Rettung des Planeten ist die Grundbedingung für unser Weiterleben. Das sollten wir in den letzten Monaten verstanden haben.

Wie sieht eigentlich Ihr Homeoffice aus?
PM:
Ich bin im Privathaus bei Udine. Auch wenn genügend Platz vorhanden wäre: Ich habe kein organisiertes Homeoffice. In einer Ecke bewahre ich Dokumente auf. Ansonsten arbeite ich dort, wo ich gerade bin. Ich denke, schreibe, telefoniere ja vor allem. Das einzige, was ich dazu brauche, ist ein schönes, bequemes Sofa und ein Tisch. Im Moment sitze ich auf dem Modell «Chamfer» von Patricia Urquiola, vor mir ist der Tisch «Countach» von Weisshaar & Kram. Durchs Fenster sehe ich meinen Garten, auf die wilde Landschaft. Dazu pfeifen Vögel.

Mit auserwählten Designerinnen und Designern, darunter auch Alfredo Häberli aus Zürich, schaffen Sie gemütliche wie avantgardistische Wohnuniversen. Welche Atmosphäre brauchen wir derzeit?
PM:
Eine beruhigende! Wir sind alle etwas verunsichert durch die Ereignisse, deren Konsequenzen wir nicht wirklich abschätzen können. Zwar leben wir im schönen Europa, wo manches gut zu funktionieren scheint. Doch unser Planet ist klein und wir sind alle miteinander verbunden. Für mich ist es auch wichtig, Vertrauen in Gegenstände zu haben. Ich möchte von jedem einzelnen Produkt wissen, woher es kommt, wie es verarbeitet worden und wie es hierhergekommen ist. Wenn wir alle darauf achten, kann ein tiefgreifender Wandel stattfinden. In einer anderen Weltregion unter toxischen Bedingungen zu produzieren, geht nicht mehr. Alles kommt zurück – vielleicht in Form eines Virus. Ob in Udine, Zürich, Dakar, Bangalore: Wir sitzen im selben Boot.

Sie sind mit Abdou Salam Gaye verheiratet. Mit dem senegalesischen Künstler haben sie drei erwachsene Kinder. Vor elf Jahren gründeten sie die Produktelinie «m’Afrique» – Fantasien aus buntesten Polyäthylenschnüren, spannungsvoll in Sitzobjekten gebändigt. Wie entwickelt sich das Projekt derzeit?
PM:
Das Projekt bringt Design und Handwerk zusammen, Europa und Afrika. Normalerweise geht kein Designer aus London nach Dakar, um dort zu produzieren. Aber genau darin liegt die Schönheit, beim Aufeinandertreffen verschiedener Energien, beim Entdecken anderer Arbeitsprozesse. In Senegal arbeitet man nicht nur auf eine Lösung hin, sondern sucht nach einem künstlerischen Ausdruck und freut sich darob. Das gleiche könnte in Europa nicht entstehen.

 

 

Für den Salone 2020 hat Designer Alfredo Häberli eine Produktfamilie geschaffen, die auf Multifunktionalität ausgerichtet ist: leben, sitzen, sprechen, arbeiten – und damit die aktuellen Bedürfnisse nicht besser einbeziehen könnte.

«Wenn man Sofas und Sitze entwirft, muss die Interaktion mit dem Menschen im Vordergrund stehen. Deshalb spiele ich mit der Präzision der Linien und der Poetik der organischen Sprache», erklärt Häberli die Idee hinter der Kollektion «TABA».

Die Kollektion besteht aus acht Stücken: einem Sofa, zwei Sesseln, einer Bank und vier Ottomanen. Sie alle bieten ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten sowohl in öffentlichen als auch in privaten Räumen.

Mit der neuen Kollektion führen Moroso und Alfredo Häberli ihre langjährige Zusammenarbeit weiter. 

Was kann Design?
PM:
Design ist ein Steuerinstrument der Industrie. Jedes Objekt oder Produkt auf der Welt, das gerade entsteht, kann später positiv oder negativ wahrgenommen werden. Design ist entscheidend. Meiner Meinung nach gibt Design dem Produkt eine Bedeutung, weil es durch Ästhetik die Technik oder Anwendung beeinflusst. Hinter jeder Form muss eine Intelligenz, sonst macht diese keinen Sinn. Ein Mehrwert soll entstehen. Wir brauchen ja nicht einfach einen neuen Stuhl oder ein neues Sofa.

Was braucht der Mensch in naher Zukunft?
PM: Ich habe keine Kristallkugel. Aber in dieser speziellen Zeit können Dinge, an die wir zuvor nicht gedacht haben, plötzlich extrem wichtig sein. Schutzmasken beispielsweise, Physical Distancing, Smart Working. Design kann helfen, eine bessere Welt zu konstruieren, durch Aufmerksamkeit, technologischen Fortschritt, auch Notwendigkeit. Entwicklung oszilliert immer zwischen Möglichkeiten und Bedürfnissen. 

Einige Zeitgenossen wollen bewusst weniger Gegenstände um sich haben.
PM: 
Wir waren ja die letzten Jahre viel unterwegs. Durch die Quarantäne haben wir unsere eigenen vier Wände schätzen gelernt. Die Atmosphäre im Haus oder in der Wohnung ist für unser Wohlbefinden sehr wichtig. Und wenn der eine und andere Gegenstand gut gebaut ist, bewirkt das etwas Positives.

Welche sieben Dinge würden Sie auf die Insel mitnehmen?
PM: 
Einen Koffer voller Bücher, einen Weltempfänger auch für Musik, Fotos der Kinder (meine drei Kinder und die Enkelin), eine ältere Issey-Miyake-Bluse (für mich wie die Decke von Linus aus Snoopy), eine rote Moleskine-Agenda, den antiken Silberring, die kleine afrikanische Skulptur.

Gibt es ein Objekt, das Sie noch nicht verwirklichen konnten?
PM: 
Normalerweise verwirkliche ich meine Träume – zusammen mit meiner Familie und den Designerinnen und Designern.

www.moroso.it