Voller Kraft

Stuttgarter Architekt Alexander Brenner

Bick auf das haus und den Eingang.

Das Wohnhaus und die Garage mit Werkstatt bilden einen multifunktionalen Hof, der teilweise von einem elegant geschwungenen Dach überspannt wird.

Landschaften erzählen Geschichten – jede ihre eigene. Die Schwäbische Alb, ganz im Süden von Deutschland gelegen, lässt besonders tief blicken. Fossilien von Meer- und Flugsauriern deuten darauf hin, dass vor vielen Millionen Jahren der «Schwäbische Jura», wie die zauberhafte Region auch genannt wird, einst ein Küstenlandstrich war. Auch die Steinzeitmenschen haben vor 40 000 Jahren hier ihre Spuren hinterlassen. So überrascht es nicht, dass gleich sechs Alb-Höhlen zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. Doch was die Schwäbische Alb so einzigartig macht, ist die imposante Landschaft mit ihren wilden Tälern, bizarren Felsformationen, tiefen Karsthöhlen, einzigartig schönen Wacholderheiden und den ausgedehnten Waldgebieten. Mitten in dieser reichhaltigen Szenerie des Biosphärengebiets hat ein Ehepaar am Hausberg von Reutlingen das für sie ideale Grundstück gefunden. Unterhalb der Achalm, dort, wo die Ruine der gleichnamigen Höhenburg sich gegen den Himmel reckt, hat der Stuttgarter Architekt Alexander Brenner ein Haus mit viel Feingefühl und voller Selbstbewusstsein in den früher zum Weinanbau genutzten Hang gefügt und ein Gesamtkunstwerk geschaffen.

Die Sichtbetonschale wird handwerklich bearbeitet und erhält so eine archaische Reliefstruktur.

Im Gartengeschoss mit einladendem Pool befindet sich ein Spa- und Arbeitsbereich sowie ein kleines Studio.

Das Betondach strahlt mit seiner Materialität und seiner Formensprache eine kraftvolle Eleganz aus.

Wie eine Passstrasse in der Schweiz

Der archaisch anmutende Baukörper liegt unterhalb eines beliebten Höhenwegs, «der Schöne Weg» genannt. Über eine geschwungene Rampe gelangt man das steile Hanggrundstück hinunter zum Haus. «Bei den Nachbarvillen steht direkt am schönen Weg ein Garagenkubus und eine kaskadenartige Treppe, die zum Wohngebäude führt. Einen solchen Zugang wollten wir nicht. So entwickelten wir ohne Hilfe von Stützmauern eine Zufahrt , die wie eine kleine Passstrasse in den Schweizer Alpen anmutet», erzählt Brenner und führt weiter aus: «Es war schon immer ein Traum von mir, eine solche Strasse zu bauen. Ein erstes Mal konnte ich dies bei einem Bauprojekt, ebenfalls an diesem beliebten Aussichtsberg, verwirklichen. Der grosse Unterschied war, dass sich dort eine Zufahrt von der Quartierstrasse hoch zum Gebäude schlängelt und nicht umgekehrt.» In der Stadt Reutlingen, in der sich übrigens die engste Strasse der Welt befindet, gibt es die Regelung, dass die Aussicht vom «Schönen Weg» auf den Albtrauf nicht verbaut werden darf. Das Haus musste mit seiner Oberkante tiefer als die öffentliche Erschliessung liegen. So nimmt sich der Entwurf von Alexander Brenner zurück. 

Gesamtansicht von dem Haus.

Der elegante Baukörper ist harmonisch in das Hanggrundstück gefügt und öffnet sich vollständig zur Aussicht gegen Süden.

Der Baukörper gibt sich niedrig sowie langgestreckt und fügt sich perfekt in die Topografie. «Das Wohngebäude wirkt auf mich süss, irgendwie will ich es streicheln», beschreibt es der Architekt mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. «Noch nie hatten wir während einer Bauphase so viele neugierige Anrufe erhalten. Es tauchten Fragen auf zu dem verbauten Material und auch wie solch ein Hofdach halten kann und alle Reaktionen endeten damit, dass sie das Haus in irgendeiner Form berührt.» 

 

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Einladender Ort der Begegnung

Durch die freie Sicht vom Höhenweg auf das Haus fiel der Gestaltung der Zufahrt, der Ankunft beim Haus und vor allem des Daches ein besonderes Augenmerk zu. Entstanden ist ein sicher im Grund verankerter Baukörper. Dem Haus vorgelagert mit seiner vollständig aus Beton bestehenden Dachlandschaft, ganz ohne Blechabschlüsse oder Kiesfelder, ist ein Hof, der von einem kühn geschwungenen Dach überspannt wird und mit der Wand des in den Hang gefügten Garagenkörpers einen besonderen Aussenraum bildet. «Wir haben eine Piazza geschaffen – einen multifunktionalen Ort der Begegnung, wo sich die Bewohner*innen mit den Nachbar*innen treffen und einen Schwatz abhalten können und wo mit direktem Zugang zu Werkraum und Garage gearbeitet werden kann», erzählt der Architekt Alexander Brenner. «Weiter ermöglicht der direkte Zugang von der Wirtschaftsküche im Haupthaus zum Hof ein Frühstück in der Morgensonne. Vor allem an heissen Sommertagen ist diese Ecke ein beliebter schattiger und luftiger Sitzplatz. Durch die Gestaltung der Piazza ist dieser Platz viel mehr Lebensraum als Erschliessungsfläche.»

Blick von dem Flur aus auf den Garten mit Pool.

In jedem Raum ist der Blick über Pool und Garten hinaus in die Schwäbische Alb einzigartig.

«Wir bauen ein Haus einmal gut und so bleibt es für immer. Dies ist für mich Nachhaltigkeit.»

Über den Haupteingang mit einer mächtigen Eichentür gelangt man direkt in den Wohnbereich, an den sich hinter einem raumgliedernden Kaminkörper der Ess- und Kochbereich sowie die Wirtschaftsküche anschliesst. Auf der anderen Seite gelangt man an der Halle vorbei in die privaten Räume des Ehepaars. Dieser klar gefasste Hausteil überzeugt mit einer grosszügigen Ankleide, einem Bad mit Dusche und Wanne sowie dem Schlafbereich mit vorgelagertem Balkon. Betrachtet man die Aufteilung der Funktionen, ist das Haus eigentlich ein eingeschossiger Bungalow, der talseitig im Sockel um zusätzliche Nutzungen wie Spa mit Sauna, Haustechnik, Weinkeller sowie Arbeitsbereich und weiter einem Apartement angereichert ist. Und in allen Räumen, egal, ob im Wohn- oder im tiefer gelegenen Gartengeschoss, öffnet sich im Gegensatz zur geschlossenen Fassade zur Piazza das Haus mit raumhohen Verglasungen zur Aussicht auf den Albtrauf im Süden. Dabei sind sämtliche Öffnungen so gesetzt, dass die Nachbarschaft ausgeblendet ist. Der Blick über den Pool und den Garten ist auf die imposante Natur gerichtet. Das eigentliche Bild des Gebäudes entstand vollständig aus dem Ort selbst und seiner Lage in der Landschaft. «Für mich ist das Haus eine Art Wiederaufbau der alten Burg  Achalm an anderer Stelle», so Brenner. «Ich fühle mich als Burgenbauer. Natürlich orientiert sich das Werk nicht an der mittelalterlichen Bauweise, sondern ist als zeitgemässe ‹humanistische› Burg gedacht, die aber auch schon vor längerer Zeit aus der Erde gewachsen sein könnte. Roh und grob, aber auch fein und leicht – seine einfache Schönheit steht wie selbstverständlich in der Landschaft.»

Diese Wirkungskraft des Baukörpers hat viel mit der Bauweise zu tun, die Alexander Brenner bei seinen Projekten auslebt. «Die Welt, in der wir heute leben, ist gekennzeichnet von Vermengungen und Vermischungen von Stoffen bis zur Unkenntlichkeit. Im alltäglichen Baugeschehen setzen sich die Gebäudeteile oft aus einer Unzahl von verbundenen, verklebten und abgedichteten Einzelteilen zusammen. Diesem Umstand wollen wir mit einer monolithischen Bauweise entgegentreten», führt der Architekt aus.  Die Aussenwände bestehen aus 50 Zentimeter starkem Porenbeton und einer bearbeiteten Sichtbetonschale von 25 Zentimetern. Durch Zuschlag von lokalem Jurasplit erscheint sie nach dem Bearbeiten in einem warmen Graubeige. Die handwerklich durch Spitzen, Stocken und Scharrieren bearbeitete Fassade präsentiert sich mit einer rauen Reliefstruktur. Auch im Innern schufen Steinmetze durch den gestockten Beton an Einbauten, Treppen und Brüstungen eine besondere Atmosphäre, die an die steinerne Kraft historischer Bauten erinnert. Das beruhigende Gefühl von Festigkeit und Dauerhaftigkeit verstärken gekalkte Wände, Natursteinböden und Eichenparkett. In diesem Haus begegnen sich das Tun des Menschen und die Erde unmittelbar.

Das Wohngeschoss – hier der Blick in Küche mit Esszone – ist ein fliessendes Raumgefüge. Hinter der Kaminwand befindet sich der Wohnbereich.

Die Übergänge von innen nach aussen sind fliessend. So entsteht ein einziger grosser Lebensraum, der durch die einzelnen Bauteile trotzdem klar zoniert wird. 

Für den Architekten ist das Haus mit seiner Materialität und Formensprache eine Art zeitgenössischer Wiederaufbau der Höhenburg Achalm.

Cover des Magazins Atrium.

Den Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Magazins Atrium.

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