Alle Jahre wieder: Der Winter und mit ihm das aufkommende Verlangen nach Schnee und Sonne treibt die Nebel- und Regenmüden aus dem Flachland in die Berge. Auch ins Oberengadin, wo St. Moritz seit jeher mit beinahe 365 Tagen Sonne wirbt und die ganze Vielfalt des menschlichen Spektrums anzieht: Sport- und Abenteuerlustige, Highsociety-Mitglieder und -Anwärterinnen, Ruhesuchende und Schaulustige, Naturliebhaberinnen genauso wie Umweltignoranten, Ver- wie auch Entwurzelte, Prestigesüchtige und Arbeitswütige, Geldgierige und Grundgütige, Exoten und solche, die verboten werden sollten... An eben diesem Ort, um den sich unglaubliche Wahrheiten und glaubwürdige Unwahrheiten ranken, hat ein Hotel mit seiner Wiedereröffnung einen aufregenden Start in einen neuen Lebensabschnitt gewagt: das Hotel Grace La Margna St. Moritz.
Nach einer mehrjährigen Renovierungs-, Umbau- und Bauphase zeigt sich das Fünfsterne Luxus Boutique Hotel frisch poliert und mit einem neu gebauten Flügel, der nicht nur mehr Raum für Gäste, sondern mit einer markanten Architektur der traditionelleren Konkurrenz im Ort die Stirn bietet. «Wir wollen ein neues St. Moritz widerspiegeln, indem wir andere Perspektiven zeigen und Neues mutig anpacken», erklärt der junge General Manager David Frei. Mutig ist etwa die Intention, das Hotel das ganze Jahr über geöffnet zu haben. Wer im April oder Oktober schon einmal Zeit in St. Moritz verbracht hat, weiss, weshalb. Aber wenn mit dem Angebot Menschen angesprochen werden können, welche die Schönheit der Region auch ausserhalb der althergebrachten Besuchszeiten erleben wollen, wer weiss? Dem Ort würde es guttun. Das Grace möchte St. Moritz also etwas aufmischen. Und tatsächlich setzte das Hotel schon zu seinen Anfangszeiten ein Zeichen. 1907 wurde es eröffnet; der Besitzer Alfred Robbi, der bis 1906 als Gemeindepräsident von St. Moritz amtierte, hatte den Standort beim Bahnhof bewusst gewählt, was sich auszahlen sollte – seit rund 100 Jahren zählt das Hotel zu einem der ersten Gebäude, die Zugreisende bei der Ankunft in St. Moritz zu sehen bekommen.
«Wir wollen ein neues St. Moritz widerspiegeln, indem wir andere Perspektiven zeigen und Neues mutig anpacken.»
Das Bahnhofsgebäude von 1927 stammt vom selben Architekten wie das Hotel: Nicolaus Hartmann (der Jüngere). Der einheimische Architekt war Mitglied der damals noch jungen Schweizer Vereinigung für Heimatschutz sowie Mitbegründer der Graubündner Sektion und setzte sich für die Rückbesinnung auf regionale Bauformen und handwerkliche Traditionen ein. Entsprechend wurde das Hotel als eine Art Engadiner Wohnhaus im Grossformat angelegt: Mit Giebeldach, dicken Mauern, schlichtem, einteiligen Fassadenbild und tiefen Fensterlaibungen zeigte es den pompösen, üppig ausgestatteten Hotelpalästen die kalte Schulter. Dank der teilweisen Unterschutzstellung ist der Charakter des Baus bis heute erhalten geblieben. Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurde das Dach mit den seltenen Fexerplatten eingedeckt und auch im Innern zeigen bis heute verschiedene originale Bauelemente und Dekore, Materialien und Farbkonzepte Hartmanns Handschrift – dies, obwohl die oberen Stockwerke im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und «ausgehöhlt» worden waren. Im Saalgeschoss mit Hotellobby, Bar und Lounge vermischen sich Engadiner Heimat- und Jugendstilelemente; Sgraffitokunst und Wand- und Deckenschmuck im Stil des Art Nouveau verleihen den Räumen gleichzeitig Gemütlichkeit und gehobene Eleganz. Ergänzend zu den erhaltenen, restaurierten und teils ergänzten Schätzen des Bestands haben die für den Umbau verantwortlich zeichnenden Divercity Architects eine zeitgemässe Sprache für neue Materialien, Farben, das Mobiliar und die Architektur gefunden, die auf ein zahlkräftiges und zugleich unkompliziertes Publikum ausgerichtet ist. So bleibt abzuwarten, wie viele davon wie oft nach St. Moritz kommen – das Grace ist bereit.